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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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Tirelle. Sie wirkte fast traurig in der zunehmenden Dunkelheit des Abends.
    »Wenn eine Kandidatin einen Namen vom Faktor erhält, so ist das ein Zeichen besonderer Ehre; das besagt, dass er sie für geeignet hält.«
    »Wer ist er denn, dass er mich für geeignet halten kann?« Wut war in meiner Stimme.
    »Er ist unser aller Herr und nur dem Herzog unterstellt.« Ihre Stimme wurde hart. »Setz dich und hör zu.«
    Beinahe zehn Jahre anerzogener Gehorsam sorgten dafür, mich rasch zu setzen.
    »Der Herzog ist in dieser Stadt alles. Es ist uns nicht erlaubt, die Kandidatinnen in jüngster Geschichte zu unterrichten, aber das wirst du noch lernen.« Sie sah sich um und dann wieder zu mir. »Seine Augen und Ohren sind überall. Er war bereits lange vor der Geburt meiner Großmutter auf dem Thron, und er wird noch auf dem Thron sitzen, wenn meine Enkelkinder alt sind.«
    Der Gedanke, dass Mistress Tirelle Kinder und Enkelkinder haben könnte, lenkte mich kurz ab. Das erwachte Interesse ging in der Düsternis meiner Gedanken so rasch unter, wie es gekommen war.
    »Er ist alles für uns, für immer«, fuhr sie fort. »Zur Frau an seiner Seite erzogen zu werden ist eine Ehre ohnegleichen. Die Töchter der größten Häuser würden freudig ihre Geliebten und Kammerzofen hinmorden, um deine Stelle einzunehmen.«
    Ich tausche gern mit ihnen, ohne dass sie jemanden zu ermorden brauchen, dachte ich.
    »Deshalb höre auf mich, kleine Smaragd. Uns bleibt ein Jahr, zwei höchstens. Wenn überhaupt. Wenn deine Blutung beginnt, bist du liebesbereit. Für den Preis, den du verlangst, wird man mit dir schlafen. Öffne die Beine und lächle einladend, und dein Leben wird für die nächsten Jahrzehnte wundervoll und sorglos sein. Wende dich ab voll dieses Stolzes, den ich dir nie ganz austreiben konnte, und man wird dir die Zunge spalten und du landest in der Gosse wie jede andere Dienerin, mit der man nicht zufrieden ist.«
    Sie tätschelte meine Schulter und ging und ließ mich allein in der Dunkelheit mit meinen Gedanken über den Preis und den Sinn meiner Schönheit zurück.
    Die nächsten Monate schlichen voller Unruhe dahin. Mein Unterricht ging weiter, doch nur zur Vervollkommnung des Erlernten und nicht zu weiterer Bildung. Der Faktor kam nicht wieder, was mir nur recht war. Auch Federo besuchte mich in dieser Zeit nicht. Meine Gefühle über seine Abwesenheit waren weniger eindeutig.
    Er hatte mich einmal entführt. In stillen Augenblicken träumte ich davon, dass er mich wieder fortbringen könnte. Aber im Lichte des Umstands, dass Federo ganz und gar auf der Seite des Faktors stand, wusste ich, dass das eine vergebliche kindliche Hoffnung war.
    Der Name Smaragd war für meine Ohren wie ein Nadelstich in meinen Finger. Jedes Mal, wenn Mistress Tirelle ihn in den Mund nahm, stieg Zorn in mir auf. Ich war inzwischen alt genug, um meine Gefühle verbergen zu können, wenigstens die meiste Zeit, aber ihr konnte meine Wut nicht verborgen geblieben sein.
    Mir fiel auf, dass mich meine Peinigerin immer häufiger in Ruhe ließ.
    Mir wurde schließlich klar, dass sie mit mir fertig war. Wir warteten nur noch auf das Einsetzen der Blutung, oder dass mich eine Laune des Faktors oder seines Herrn, des Herzogs, aus dem Granatapfelhof fortholte und ein anderes kleines Mädchen durch das Tor gebracht wurde.
    Der Gedanke erfüllte mich mit ganz eigenen Ängsten. Ein Teil von mir wollte hier, in diesem verhassten Mittelpunkt meines Universums, bleiben.
    War ich sicherer in diesen Mauern oder draußen?
    Die Antwort war natürlich, dass es für mich nirgendwo Sicherheit gab.
    Selbst die Tanzmistress schien die Zeit mit mir totzuschlagen. Wir bewegten uns auf vertrauten Pfaden, übten dasselbe Drehen und Springen und Fallen wie immer. Sie war nicht besser als Mistress Tirelle in ihrer Wartestellung.
    »Ich mag meinen Namen nicht«, sagte ich ihr eines Nachts, als wir über die Eggcorn Gallery weit westlich vom Haus des Faktors liefen. Ich hasste die Trotzigkeit in meiner Stimme, aber ich konnte sie nicht verbergen.
    »Mädchen.« Ihre Stimme klang müde und schwer. »Ein Name ist wie eine Maske. Man kann ihn einen Tag lang benutzen oder einen Monat oder ein Leben lang. Man kann ihn ablegen, wenn man ihn nicht mehr braucht.«
    Sie selbst hatte mich nicht ein einziges Mal Smaragd genannt, seit mir der Faktor den Namen gegeben hatte. Aber irgendwie fühlte ich mich deshalb auch nicht besser.
    »Was weißt du schon von Namen?«, rief ich verärgert.

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