Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
Vom Netzwerk:
seit Federo meinen Vater am Rande der Reisfelder getroffen hatte. Ich blickte Mistress Tirelle in die Augen und sah einen seltsamen und völlig unerwarteten Schimmer von Mitgefühl in ihnen. »Was wird jetzt aus mir?«
    Sie runzelte einen Augenblick die Stirn. Sicher wusste sie die Antwort und überlegte, welche Geheimnisse sie mir nun erzählen konnte, da ich Rang und Namen in den toten, toten Augen des Faktors erlangt hatte.
    »Das hängt davon ab, ob der Herzog in den nächsten zwei Jahren etwa Lust auf eine neue Gespielin hat.« Sie stieß mir den Finger gegen die Brust. Ihr Nagel riss mir die Haut auf. »Andernfalls wird ein Gewürzhändler irgendwo an der Steinküste den Preis für dich zahlen.«
    Diese Worte drangen wie Eis in mein gequältes Herz, sodass ich den Schauder, der über meinen Rücken kroch, nicht verbergen konnte. Irgendwie hatte ich erwartet, dass ich für den Faktor oder ein großes Haus hier in Copper Downs bestimmt wäre. Ich wusste seit langer Zeit, dass dieses Haus aus blauen Mauern Frauen dazu erzog, an der Seite von Herrschern und Edlen zu sitzen, aber ich hatte nie wirklich darüber nachgedacht, was es für mich, für meine Person, bedeutete. Dass es die Macht war, die mir vielleicht eines Tages in den Schoß fallen würde, wie die Tanzmistress meinte.
    Federo hatte mich nicht für den Faktor gekauft. Nicht für den Mann jedenfalls. Federo hatte mich für einen Markt erstanden. Lebendige Ware mit zwei Beinen, dunklen Augen und einem Gesicht und Körper, auf die er Jahre und unermesslichen Reichtum in der Hoffnung gesetzt hatte, dass ich eine Schönheit werden würde. Eine Schönheit, die er anbieten und verkaufen konnte.
    Federo hatte mich als lebende Ware gekauft, und mein Vater hatte mich als Hure verkauft.
    Worte, sagte ich mir. Das waren alles nur Worte. Die Madenmenschen der Steinküste lebten und starben durch ihre Worte. Ich hatte das von Anfang an gewusst. Smaragd bezeichnete mich als einen Edelstein in der Truhe des Faktors. Nicht mehr und nicht weniger.
    Ich unterdrückte den Stich dieses seltsamen neuen Gefühls, für das ich noch keinen Namen hatte, und folgte Mistress Tirelle zurück in die Räume, die mein Leben gefangen hielten.
    An diesem Tag gab es keinen Unterricht. Keine Mistresses, keine Übungen, keine Aufgaben oder Tänze oder Bestrafung, nichts. Es war die erste freie Zeit in all den Jahren im Granatapfelhof.
    Ich saß vor der Feuerstelle im unteren Aufenthaltsraum und durchstöberte meine Erinnerungen. Ausdauer, die Frösche in den Gräben, das Gesicht meiner Großmutter, das Geläute ihrer Glöckchen bei jedem Schritt des Ochsen. Ich breitete die imaginäre Seide in meinen Gedanken aus, zählte die Ta g e.
    Nichts half. Ich war überwältigt von der Bitterkeit der endgültigen Erkenntnis dessen, was ich schon immer gewusst hatte: Ich war nichts. Keine lebende Person verbarg sich hinter Mädchen, Smaragd, Green – was immer ich auch glauben mochte.
    Ich wünschte mir, dass meine Lehrerinnen gekommen wären. Die bissige Bosheit Mistress Leonies hätte meiner wachsenden Unzufriedenheit Nahrung gegeben. Mistress Danae hätte mich abgelenkt. Die Tanzmistress hätte mir befreiende Erschöpfung gebracht.
    Natürlich hätte ich auch allein in den Übungsraum gehen oder ein Buch zur Hand nehmen oder mich vor das Spinett setzen können. Ich brauchte keine Mistress, die mich dazu anhielt, diese Dinge zu tun. Aber irgendwie war alles bedeutungslos.
    Nach einiger Zeit fiel mir auf, dass sich Schatten über den Boden bewegt hatten. Ein Teller mit Käsebroten stand neben mir. Mistress Tirelle war also hier gewesen, und ich fragte mich, ob wir miteinander gesprochen hatten.
    Auch das war nicht wichtig.
    Schließlich kroch die Dunkelheit in den Raum. Niemand hatte das Brot oder den Käse gegessen. Beides war abgestanden. Meine Blase trieb mich schließlich aus meinem Sessel. Ich stolperte hinaus, um einen Nachttopf zu finden.
    Mistress Tirelle saß vor der Tür. Sie war fast unsichtbar in der Dunkelheit.
    »Smaragd«, sagte sie leise. »Morgen werden deine Tage wieder wie immer beginnen.«
    »Ich glaube nicht.« Ich machte mir nicht die Mühe, sie um Sprecherlaubnis zu bitten. Wenn sie mit ihrer blöden Seidenrolle auf mich losgehen wollte, würde ich ihr den Sand und die Seide ins Maul stopfen.
    »Nichts hat sich geändert.«
    »Alles hat sich geändert.« Ich schob mich an ihr vorbei, um ein wenig Zeit allein im Abort zu verbringen.
    Als ich zurückkam, erwartete mich Mistress

Weitere Kostenlose Bücher