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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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»Du hast nicht mal einen.«
    Die Tanzmistress blieb stehen. Ihre Augen schimmerten dunkel im schwachen Leuchten des Moders in meiner Hand. In diesem Moment wusste ich, dass ich zu weit gegangen war, wie schon einmal vor ein paar Jahren. Ich fürchtete plötzlich verzweifelt, dass sie mich wieder verlassen könnte, wie damals.
    »Ich bin nicht deine Feindin, Mädchen.« Ich konnte fast hören, wie ihre Klauen sich krümmten. »Du solltest das in Erinnerung behalten.«
    Ich senkte meinen Kopf in der Dunkelheit und zwang mich zu einer Entschuldigung. »Es tut mir leid, Mistress. Aber seit dem Besuch des Faktors ist vieles irgendwie schwerer zu ertragen.«
    Sie wandte sich um und setzte ihren Weg fort. Ich hastete hinter ihr her und stolperte einige Schritte wegen eines unerwarteten Stichs im Unterleib. Es war eine völlig ungewohnte körperliche Schwäche, aber aus Stolz sagte ich kein Wort. Und ihr verschloss wahrscheinlich der Groll den Mund.
    Sie wusste gut genug, was mit mir passierte. Die Erziehung von Mädchen war schließlich ihr Geschäft. Und jedes Mädchen wird früher oder später zur Frau.
    Viel zu früh setzte die Regel ein. Die plötzlichen Schmerzen im Rücken waren eine Warnung gewesen. Einige Wochen lang kamen sie in unregelmäßigen Abständen wieder. Eines Tages, als ich mit Mistress Tirelle in der unteren Küche eine Fleischpastete zubereitete, drehte sich mir der Magen um. Ohne Vorwarnung beugte ich mich vornüber und erbrach mich auf den Fliesenboden.
    Statt mich zu schlagen, lächelte Mistress Tirelle nur und schickte mich hinaus, mich zu säubern. Als ich mich danach hinlegte, kehrte die Übelkeit zurück. Es kostete mich alle Kraft, bei mir zu behalten, was ich noch im Magen hatte.
    Aber kurz darauf konnte ich nicht anders, als mich aufzurichten und erneut zu übergeben. Mein Mund brannte. Meine Blase gab einen Moment nach. Es war ein widerliches Gefühl, bis ich verstohlen nach unten griff und erkannte, dass Blut gekommen war.
    Mistress Cherlise wird stolz auf mich sein, dachte ich, jetzt bin ich endlich liebesbereit. Ich versuchte, nicht daran zu denken, was das für mich in den Augen des Herzogs bedeutete.
    Gleich darauf brachte mir Mistress Tirelle kaltes Wasser und Tücher.
    Ich hatte sie nie so strahlend gesehen.
    In dieser Nacht starrte ich durch meine Tür hinaus ins Mondlicht. Der Hof unter mir funkelte in silbernem Licht wie Geschmeide. Ich würde Smaragd sein, ein Juwel in der Schatulle des Herzogs, prächtig gefasst, vierzig Jahre lang bewundert, um schließlich in einsame Turmgemächer mit alternden Dienerinnen abzutreten.
    Die Geschichten, die Mistress Danae mir über das Geschick ungeliebter Ehefrauen und Gespielinnen, besonders jener von niedriger Geburt, zum Lesen gegeben hatte, verrieten die Zukunft deutlich genug.
    Die ganze Zeit zwischen jetzt und dem bevorstehenden Ende würde nur ein Wimpernschlag sein, wenn sie erst vorüber war. Für mich war dabei nichts zu gewinnen. Gar nichts.
    Das Mondlicht war wunderschön, aber ich entschied mich, dass ich kein Juwel sein würde. Kein Smaragd, der auf Geheiß des Herzogs auf dem Frauenmarkt zum Verkauf stand.
    Ich fragte mich, was wohl Ausdauer getan hätte. Die Frage war völlig sinnlos. Der Ochse hatte einen Besitzer. Papa konnte ihn für sich arbeiten lassen oder ihm die Kehle durchschneiden und ihn als Fleisch verkaufen.
    Sie konnten auch mir die Kehle durchschneiden. Mistress Tirelle hatte mir oft genug damit gedroht, auch wenn sie mit »schneiden« das Spalten meiner Ohren und meiner Zunge gemeint hatte.
    Welchen Markt gab es für verstümmelte und mutlos gewordene feine Damen?
    Es war mir gleichgültig. Aus mir würden sie kein williges Schmuckstück machen. Ich stand weit über diesen Menschen. Ich war besser als sie. Selbst die freundlichen, wie Mistress Cherlise, formten mich nach dem Willen des Faktors. Für jede von ihnen war ich nur ein Ding, an dem sie sich beweisen konnten. Meine Verbündeten, die Tanzmistress und Federo, wollten mich für ihre eigenen Zwecke haben, doch welche untergeordneten Ziele sie verfolgten, interessierte mich nicht.
    Auf keinen Fall würde ich ein Spielzeug für den scheinbar unsterblichen Herzog sein, ein paar Jahrzehnte lang benutzt und dann abgeschoben. Die Töchter der großen Häuser konnten ihn haben.
    Ich stand auf und schlich in die große Küche hinab. Dort hatte ich gelernt, mit Vanille und Safran und anderen Gewürzen zu kochen, die mehr wert waren als ihr Gewicht in Gold. Was

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