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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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meinen geübten Augen. Sie alle verrieten mir auf einen Blick durch ihre Kleidung, ihr Auftreten, ihre Kopfbedeckungen oder die Dinge, die sie bei sich hatten, wer sie waren.
    Normalerweise wäre ich in eine stille Gasse geflohen, doch meine Absichten ließen mir keine Wahl. Ich war froh, dass sich die Menge lichtete, als die Gegend wohlhabender wurde.
    Zwei Wachen ritten vorbei, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Die geschäftigen feinen Damen und Herren nahmen ebenfalls keine Notiz von mir. Ich erfreute mich einer sonderbaren Unsichtbarkeit, die schwer zu verstehen oder beschreiben war. Ich fragte mich, ob mich diese Leute angesehen hätten, wenn ich nackt und mit einem Flammenschwert bewaffnet gewesen wäre. Wo blieb das aufgeregte Geschrei, das Federo und die Tanzmistress vorhergesagt hatten? Vor drei Tagen hatten Patrouillen den Lagerhausbezirk Gebäude für Gebäude durchkämmt. Jetzt schien ihre Aufmerksamkeit schon anderen Dingen zu gelten.
    Die Kleidung war Kennzeichen, ein Signal, ein Symbol dafür, welche Rolle der Träger im Leben spielte und wie er behandelt werden wollte. Mein Aufzug verriet, dass ich nicht hierher gehörte, dass ich eine fremde Person in einem fremden Land war. Meine Glöckchen erzählten jedem mit Ohren, die sie zu hören verstanden, meine Geschichte.
    Aber niemand auf der ganzen Chaussee der Krönung schien solche Ohren zu besitzen.
    Der Herzogspalast tauchte vor mir auf. Die Fassade des Gebäudes war eine gewaltige Marmorflucht in firthianischem Stil mit mehr Fenstern, als ich an einem einzigen Gebäude für möglich gehalten hatte. Ich war die leeren Mauern des Faktorhauses gewohnt. Mir kam es vor, als ob dieses Gebäude mit hundert Augen über die Stadt blickte. Eine große Kupferkuppel erhob sich über dem Zentrum. Kleinere Kuppeln aus dem gleichen Material thronten über jedem Flügel.
    Da ich mein Leben weitgehend hinter Mauern oder auf nächtlichen Ausflügen verbracht hatte, bei denen sich alles Erkennbare nur einen Schritt oder zwei vor mir befand, fiel mir das Abschätzen von Entfernungen schwer. Aber es schien mir, dass ich nicht weit zu gehen brauchte, um direkt durch Seiner Gnaden Haupteingang zu spazieren. Als ich mich dem Palast näherte, wurde die Straße leerer. Stiller. Meine Glöckchen bimmelten lauter.
    Was in einem anderen Leben meine Hochzeit hätte sein können, würde stattdessen mein Begräbnis sein. Ich wünschte mir, ich hätte so wie Großmutter auf Ausdauers Rücken diesem Ende entgegenreiten können.
    Von einem Augenblick auf den anderen war ich von grimmig blickenden Wachen mit blanken Schwertern umgeben. Sie stürmten mit wütendem Geschrei auf mich ein, drückten mich nieder auf meine Knie und dann auf das Pflaster hinab. Jemand trat mich zweimal, dass die Glöckchen auf meinem ganzen Körper in Bewegung waren. Die Spitze einer Klinge wurde an meinen Hals gepresst. Ich unterdrückte einen Schmerzensschrei, so wie ich meine Wut über die raue Behandlung niederrang.
    Hebe dir dein Feuer für den Herzog auf, sagte ich mir. Du hast vielleicht eine einzige Chance, wenn alles gut geht. Vertu sie nicht hier.
    Ein Meldeläufer hetzte los. Seine Sandalen klatschten auf das Straßenpflaster. Der Mann mit dem Schwert kniete dicht hinter mir, doch ich konnte nur sein Knie und ein Stück seines Kettenhemdes sehen. »Mach es dir lieber bequem, Kleine«, flüsterte er. Sein heißer Atem prickelte auf dem verkrusteten Schnitt meines Ohres. »Dein Leben ist nicht mehr viel wert.«
    »Verschwörung«, sagte ich zu den Pflastersteinen. Mein Mund wurde auf den Stein gedrückt, der nach Schuhleder schmeckte. »Gegen den Herzog.« Das war die Geschichte, in deren Schlepptau ich an mein Ziel gelangen sollte.
    »Und die Sonne ging im Osten auf, nicht?« Er lachte. »Natürlich gibt es eine Verschwörung.«
    Danach benahmen sie sich fast wie normale Leute. Einige witzelten über die Frau eines Offiziers. Andere erkundigten sich nach dem kranken Pferd eines Kameraden und beschwerten sich über das Essen in ihrer Kantine. Wenn man von dem Schwert an meinem Hals absah, hätte ich auch ein einfacher Spaziergänger sein können, der der Unterhaltung von Männern während ihrer Arbeit zuhörte.
    Niemand interessierte sich für mich. Ich war nur ein Fang, den sie gemacht hatten. Ein Ding, das sie für einen möglichen späteren Gebrauch aufbewahrten, wie eine Rehkeule in einer Eiskammer.
    Ich begann wieder, innerlich zu kochen. Diese Männer waren brutal und gedankenlos auf eine

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