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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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würden sich an meinem Körper vergehen, bevor sie mir das Leben nahmen, um sich zu schützen.
    »Du«, sagte der Faktor. Er schien Schwierigkeiten zu haben, seinen nächsten Gedanken zu finden.
    Sein Haar begann, sich zu winden. Es bewegte sich wie Schlangen, die aus dem Schlaf erwachten. Es wogte erst grau, dann weiß. Die anderen beiden ließen mich los und taumelten plötzlich verfallend und sterbend zurück.
    »Du …« Dieses Mal wirkte er überrascht. Zu guter Letzt sah ich einen Funken in diesen kalten toten Augen.
    Ich stieß ihn von mir und setzte mich auf. Der Faktor kämpfte gegen etwas Mächtiges in seiner Brust. Die Worte wirkten. Ich beugte mich zu ihm, um sicher zu sein, dass er mich hören konnte, während er starb.
    »Mein Name ist Green«, sagte ich. »Green«, wiederholte ich in meiner eigenen Sprache.
    Er starrte mich mit solcher Verzweiflung an, dass mir ganz leicht ums Herz wurde. Wind und Staub schossen hoch. Die Luft stank nach alten Bandagen und verfaultem Fleisch, während stimmlose Schreie in meinem Schädel widerhallten.
    Ich wankte nicht. Ich vergaß nicht, wer ich war und weshalb ich hier war. Ich ertrug diese Geräusche und die Feuer in meinem Kopf, so wie ich die Jahre der Prügel und Misshandlungen ertragen hatte. Meine Geduld hatte ich von den Besten gelernt, denen dieser Mann mich ausgeliefert hatte.
    Einen Augenblick später war ich allein im Raum zwischen den zersplitterten Resten seines Tisches und dem zerschmetterten Holz seines Stuhles.
    Eine Weile beobachtete ich die Staubteilchen, die im Sonnenlicht aus dem hohen Fenster schwebten. War dies der Staub der Unsterblichkeit? Oder war die Luft im Raum so aufgewühlt, dass sie den Schmutz aus den feinsten Spalten und Nischen herauswirbelte?
    Während ich nach oben blickte, wurde mir bewusst, dass ich vor Schreck erstarrt war wie damals, als Mistress Tirelle tot vor mir lag. Nur dass ich diesmal keine Schuldgefühle empfand. Und keinen Schmerz. Ich war nicht einmal sicher, ob man es überhaupt als Mord bezeichnen konnte. Ich hatte lediglich die Magie des Herzogs gegen ihn und seine Schergen gerichtet. Sie hatten ihr eigenes Gift gebraut und es viele Generationen lang verteilt. Wie konnte ich es da bedauern, wenn diese Kindesentführer ihre eigene Medizin schluckten?
    Sie waren verschwunden, Faktor und Herzog in einer Person. Wie konnte es sein, dass niemand in Copper Downs bemerkt hatte, dass beide ein und derselbe Mann waren? Vielleicht war es aber auch eines jener Geheimnisse gewesen, die alle kannten, über die nur niemand sprach.
    Nichts an diesem Herzog konnte ich wirklich begreifen.
    Und nun war ich frei. Der Faktor konnte mich nicht weiter für den Tod von Mistress Tirelle zur Rechenschaft ziehen. Der Herzog konnte nicht länger ein Kopfgeld auf mich aussetzen. Ich war frei, frei wie jedes andere zwölfjährige Mädchen da draußen auf den Straßen.
    Ich hatte kaum je die Farbe meiner Haut bedauert, denn ich war selbst mit meinem Anblick zufrieden gewesen, doch hier und jetzt, inmitten all dieser Madenmenschen machte es mir der braune Farbton meiner Haut unmöglich, mich zu verbergen.
    Und wenn schon. Ich atmete tief durch und suchte den Mut im Herzen, der mich dazu gebracht hatte, den mächtigsten Mann in diesem Teil der Welt zu stürzen. Entschlossen trat ich zur Tür und drückte mein Ohr an das vorhin noch glänzende Holz. Jetzt war es mit Staub und kleinen Punkten bedeckt.
    Unwillkürlich blickte ich auf meine Handrücken. Kleine Blutflecke überall. Ich wischte mich an meiner dunklen Strumpfhose ab, dann strich ich mit den Fingern über mein Gesicht. Auch dort Blut und ein stechender Schmerz von den verkrusteten Wunden.
    Erneut versuchte ich zu lauschen. Von draußen vernahm ich weder Stimmen noch Schritte. Aber da waren Rufe in größerer Entfernung. Ich hörte auch ein schwaches, fernes Geschrei vieler Stimmen. Offenbar hatte sich eine Menschenmenge vor dem Herzogspalast versammelt.
    Ich ging zurück, um meine Glöckchenseide aufzuheben. Auch sie hatte durch den Abgang des Herzogs gelitten, war aber, abgesehen von vielen Löchern und Rissen, im Wesentlichen ganz geblieben. Als ich mich darin einhüllte, fielen mehrere Hand voll Glöckchen zu Boden. Der Stoff hatte den modrigen Grabgeruch angenommen. Aber das störte mich nicht. Schließlich war es der Duft des Sieges. Ich würde vielleicht die nächste Stunde nicht überleben, aber in diesem Moment war ich frei.
    Niemand hielt sich im Korridor auf. Das Holz der

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