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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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schmale Fenster auf einer Seite, eine Decke hoch über mir, Fächer mit großen und schweren Büchern hinter den Männern des Faktors und an den übrigen Wänden. Eine Tür in einer Bücherwand, eine Tür hinter mir und er in dem einzigen Stuhl.
    Kein Ausweg. Keine Hilfe.
    Schließlich beendete er seine Berechnungen. Seine Miene war düster. »Eine wertvolle Dienerin ist tot. Und jetzt sehe ich, dass ein außerordentlich wertvoller Besitz verstümmelt und dadurch völlig entwertet worden ist. Ich gebe dir die Gelegenheit zu einer Erklärung, bevor ich dich vom Rand der Kuppel dieses Gebäudes werfen lasse.«
    Ich hatte mich geirrt. Seine Stimme war nicht normal. Sie war so tot wie seine Augen.
    Und ich besaß keine Waffe, die ich gegen ihn schwingen konnte.
    Doch ich war nicht mehr gefesselt. Die Wachen, die mich gebracht hatten, waren mit dem Mantel verschwunden.
    Ich war noch immer ich. Ich verlagerte das Gewicht auf die Fußballen. Nicht der Herzog, aber immerhin drei seiner leblosen Schergen waren da. Und der Faktor war immer schon mein Feind gewesen.
    Ich konnte etwas tun: einen von ihnen niederschlagen, irgendeinen, sodass die anderen ein wenig von der Furcht zu spüren bekamen, die sie mir eingebläut hatten. Ich spannte die Muskeln zum Sprung in seine unmittelbare Nähe, um ihm meine Worte ins Ohr zu flüstern. Die Glöckchenseide klingelte, als ich mich bewegte.
    Der Faktor hob eine Hand, nicht in meine Richtung, sondern in die seiner Männer. »Sie wird versuchen, mich anzugreifen«, sagte er. »Sie wird scheitern.«
    »Wenn Ihr sicher seid, Euer Gnaden«, antwortete einer.
    Euer Gnaden! Wie viele unsterbliche Herzöge mit toten Augen konnte es in dieser Stadt geben? Ich hatte schließlich doch den Herzog von Copper Downs gefunden! Dass er sich als der Faktor unter sein eigenes Volk mischte, überraschte mich, aber mir wurde rasch klar, dass es keinen Grund gab, überrascht zu sein. Die Leute, die diese Stadt regierten, waren wie diese Schiebeschachteln, die aus den Häfen Hanchus kamen, und die endlos in sich zusammenklappbar waren.
    Ich entspannte mich. Er würde mich nicht täuschen. Warum sollte er auch? Er wusste nicht, dass ich mit den Worten der Macht vertraut war. Sie waren meine verborgene Waffe. Ich wusste nicht, ob ihre Macht mir gehorchen würde, aber nur, wenn ich sie anwendete, würde ich die Antwort auf diese Frage erfahren.
    »Du hast dich geirrt«, sagte ich ihm.
    »Geirrt?« Das Lächeln zuckte wieder um seine Lippen. »Das sind seltsame letzte Worte. Nein, ich habe nichts falsch gemacht. Was auch? Dass ich einen ausländischen Gossenknirps aus der Armut holte? Dass ich dir eine Erziehung zur vollkommenen Frau angedeihen ließ? Vielleicht würdest du lieber im heißen Süden Reis ernten und einen Bauern heiraten. Du wärst beinahe so viel mehr geworden als das.«
    Diese Gedanken hatte ich auch gehabt, aber deshalb hatte er noch lange nicht Recht. Die Glöckchen meines Gewandes klirrten wieder.
    Worte, sagte ich mir in meiner Muttersprache. Er versucht, mich erneut mit der Macht seiner Worte zu beherrschen.
    Was hätte meine Großmutter getan? Was würde Ausdauer wollen, dass ich tue? Ich konnte den schnaubenden Atem des Ochsen hören, als er mich zu warnen versuchte.
    Angriff war die beste Verteidigung.
    Ich entledigte mich meiner klingelnden Umhüllung und schleuderte sie in die Richtung der Schergen des Faktors. Dann tänzelte ich nach links, von ihnen weg.
    Er sprang auf und kippte den Tisch um. Dabei brüllte er Worte, die ich nicht verstand oder nicht verstehen konnte.
    Ich sprang auf die Kante des Tisches und balancierte darauf, wie ich es so oft geübt hatte. Mit einer Drehung trat ich nach ihm. Er duckte sich unter meinen Fuß. Dann sprang ich hinab und umklammerte seinen Hals.
    »Ein geteiltes Leben«, flüsterte ich in meiner Muttersprache in sein Ohr, »währt ewig. Ein gehortetes Leben wird nie gelebt.«
    Das war die beste Übersetzung der Worte der Tanzmistress, die Federo und ich zuwege gebracht hatten. Sie hatte sie mir in der petraeanischen Sprache Copper Downs’ gesagt, doch ihre magische Bedeutung hatten sie aus der Sprache des Volkes der Tanzmistress erhalten. Ich hoffte und betete, dass sich diese Bedeutung auch in meine Sprache übertrug.
    Der Faktor drückte mich mit seinem größeren Gewicht zu Boden. Seine beiden Schergen packten mich an den Handgelenken. Ich hatte plötzlich Angst vor der Vergewaltigung, vor der mich Mistress Cherlise gewarnt hatte. Diese Männer

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