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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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Nervosität.
    Ich wusste, wie ihm zumute war. Mir würde meine Wut helfen, wenn ich sie erst wiederfand. Aber im Augenblick fühlte ich mich schrecklich. »Ich bin bereit«, log ich.
    Ich musste mich um eine letzte Sache kümmern, bevor wir aufbrachen. Meine Ängste und Befürchtungen hatten mich die ganze Nacht bis in den Morgen verfolgt. Auf die meisten hatte ich keinen Einfluss. Bis auf eine.
    »Federo«, sagte ich, während er die letzten Vorräte zusammenpackte.
    »Mmm?«
    »Ich möchte Mistress Tirelles Hinscheiden gedenken. Hast du eine Ahnung, welche Vorstellungen sie über ihre Seele gehabt hat? Gibt es ein Gebet oder ein Opfer, das ich ihr darbringen kann?«
    Er bedachte mich mit einem unsicheren Blick. In der Dunkelheit hinter ihm sah ich die Tanzmistress fast unmerklich nicken. Das hatte sie auch getan, wenn mir eine schwierige Übung gut gelang und wir nicht sprechen konnten, weil wir nicht allein waren.
    »Ich weiß nicht, Green«, sagte Federo nach einem Augenblick. »In Copper Downs beachten nicht viele solche Dinge. Vor allem jene nicht, die hier geboren wurden.«
    »Des Todes muss auf irgendeine Weise gedacht werden. Das Vergehen einer Seele ist keine leichte Sache.« Wir hatten hier keine Ochsen, keine Glocken und keine Himmelsbegräbnisse. So viel wusste ich. Mich quälte das Geschick der Entenfrau – schließlich hatte ich sie vom Leben in den Tod befördert. Diese Furcht und Schuld lastete auf mir. Ich hoffte, ihr das Ende zu erleichtern.
    »Es gibt eine gebräuchliche Opfergabe für die Toten«, sagte er. »Zwei Kerzen werden angezündet. Eine ist schwarz für ihre Sünden und Sorgen. Die andere ist weiß für ihre Hoffnungen und Träume. Manchmal wird ein Bild des Toten verbrannt, wenn ein solches zur Verfügung steht. Als Ersatz kann auch ein zusammengefaltetes Gebet oder ein Geldschein herhalten. Das hängt gewöhnlich von den Absichten der Person ab, die das Opfer darbringt. Man spricht einige freundliche Worte, streut die Asche in den Wind und verabschiedet sich.«
    »Wenn wir dann aufbrechen, möchte ich zwei Kerzen und etwas von dem Papier, das du gerade eingepackt hast.«
    Wir brachen in der Morgendämmerung auf, kurz bevor die Tore des Lagerhauses geöffnet wurden. Meine Glöckchenseide befand sich zusammen mit Nadeln und Fäden und dem Rest der Ausrüstung vom Dachboden in einem Sack. Wir konnten zwar den Umstand nicht verbergen, dass jemand eine Weile hier gehaust hatte, doch wir konnten dafür sorgen, dass nichts zurückblieb, das auf uns deutete.
    Das Pflaster war rutschig vom Morgentau, und Wolken verschleierten den Dreiviertelmond. Diese Nässe würde mit der aufgehenden Sonne verschwinden, doch im Osten zeigte sich noch kein Schimmer. Die Tanzmistress führte uns zu einem Laden am Ende einer Reihe von Lagerhallen, welcher, seinem Angebot nach zu schließen, Arbeiter mit Kleidung und Gerätschaften versorgte. Dennoch fanden wir auch Kerzen unter all den Seilrollen und Ketten, den Gestellen mit Eisenwerkzeug und dicken Segeltuchoveralls und all den anderen Werkzeugen, die jene brauchen, die in einer Stadt etwas bauen oder reparieren.
    Die schwarze war ein dünner Zylinder, die weiße eine dicke, kleine Votivkerze. Es machte mir nichts aus, dass sie so verschieden waren. Mistress Tirelle und ich hätten im Leben nicht verschiedener sein können. Federo kaufte die Kerzen, und ich erstand eine Schachtel Lucifer-Streichhölzer. Dann waren wir wieder auf der nassen Straße.
    »Wir müssen in einen Park«, sagte Federo missmutig. Das Risiko eines Umweges machte ihm zu schaffen.
    »Tut mir leid«, sagte ich. »Aber diese eine Sache muss ich noch erledigen. Dann können wir meine Seide herausholen, und ich werde den Palast des Herzogs suchen und danach tun, was immer möglich ist.« Die Worte der Tanzmistress waren ganz klar in meinem Gedächtnis.
    »Federo«, sagte sie, und ihre Stimme riss ihn aus seiner gereizten Furcht und beruhigte ihn merklich.
    Etwas später erreichten wir zwei Torpfosten aus Marmor. Dahinter schlängelten sich Pfade zwischen Linden und Birken hindurch. Tau tropfte von ihren Ästen, als der östliche Himmel hell wurde. Der modrige Nachtgeruch wich langsam dem Duft sich öffnender Blüten, doch Verwesungsgestank kam von irgendwo aus der Nähe. Wir folgen der Tanzmistress den unkrautübersäten Kiesweg entlang, bis wir einen Prunkbau erreichten.
    Wie die Torpfosten war er ebenfalls aus Marmor errichtet. Auf sechs Säulen mit einem Architrav und einem Fries, dessen

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