Der verbotene Garten
in meinen SchoÃ. Ihr Haar hatte sich aus den Kämmen gelöst, ihre Locken starrten vor Schmutz. Das schöne Kleid, das Rose ihr gegeben hatte, war verdreckt und zerrissen. Selbst in der düsteren Gasse schimmerte ihr Gesicht bleich und aschen. Sie hatte die Augen fest geschlossen, sie atmete, doch ihr Körper fühlte sich schwer und schlaff an.
»Alice!«, rief ich ihr zu. »Ich bin da, ich bin es, Ada.« Pfützenwasser und Unrat sogen sich durch mein Kleid und meine Unterröcke bis auf die Haut. Sosehr mich das alles auch entsetzt hatte, mein einziger Gedanke war, Alice zu beschützen und mich um sie zu kümmern. Ich griff nach einer zerbrochenen Flasche und hätte sie bedenkenlos gegen jeden gerichtet, der es gewagt hätte, uns zu belästigen.
Ich streichelte ihr die Wange und sagte erneut: »Alice â¦Â«
SchlieÃlich öffnete sie die Augen und sah mich voller Kummer an. Tränen rollten ihr über die Wangen, doch sie brachte kein Wort hervor.
»Alles wird gut«, versicherte ich ihr. »Das verspreche ich.«
Cadet und die Jungs waren nicht weit entfernt. Als ich mich umdrehte, sah ich sie. Sie schubsten, halb im Dunkel, halb im Licht einer StraÃenlaterne, Mr. Samuels hin und her. Sie hatten seine Taschen geleert und ihm fast alle Kleidungsstücke genommen. Dann begannen sie mit der Bestrafung, und die war grausam und laut. Ihre Stiefel und bloÃen FüÃe traten, krachten und klatschten. Ab und zu kam ein Ruf von Cadet, dann hörten alle auf und warteten, bis Mr. Samuels um Gnade flehte. Kaum fing er zu wimmern an und zu betteln, legten sie erneut los.
Bald schon wurden sie von einer Menschenmenge umringt, doch niemand wagte es einzugreifen.
Ich schaute wieder zu Alice, und plötzlich stand Mae neben mir.
»Was ist passiert?«, fragte sie und blickte auf uns herunter.
Mein Herz klopfte, mich durchfuhr eine heiÃe Wut. Mae war an allem schuld! »Sie wurde überfallen«, antwortete ich und sah Mae vor meinem geistigen Auge Arm in Arm mit Mr. Vaughn, hörte, wie ihr Lachen von den Wänden widerhallte, während sie Alice allein ihrem Schicksal und Mr. Samuels überlassen hatte. Doch ich wollte Alice nicht noch mehr aus der Fassung bringen, und so biss ich mir auf die Zunge und hielt mich zurück.
»Wir waren zusammen im Tanzpalast, und mit einem Mal war sie fort«, redete sich Mae albern und vergebens heraus. »Ich dachte, sie wäre nach drauÃen gegangen, um etwas Luft zu schnappen.«
Da kam Cadet mit der StraÃenbande zurück. Die Menge hatte sich aufgelöst, Mr. Samuels lag blutend und geschunden am StraÃenrand.
Cadet, eine Hand verletzt und geschwollen, die Kleider völlig zerzaust, beugte sich zu Alice und hob sie in seine Arme. »Jetzt bist du sicher. Ich bring dich nach Hause«, flüsterte er ihr zu.
Sie brachte ein klägliches »Danke« heraus.
Der Anführer der Bande trat vor, um sich von uns zu verabschieden, Mr. Samuelsâ Hut auf dem Kopf. »Willst du die Weste?«, fragte er und hielt Cadet das Kleidungsstück hin.
»Nein«, erwiderte Cadet. »Die gehört dir.«
Als Cadet mit Alice in den Armen die Gasse verlieÃ, folgten ihm Mae und ich. Wir hoben bei jedem Schritt unsere Röcke an. Es erschien mir vollkommen unangemessen, mir in dieser Situation Gedanken um Röcke oder Schuhe zu machen, doch ich musste Haltung bewahren. Mein Kleid war so durchnässt und zerrissen, dass ich es nicht noch mehr vernachlässigen konnte. Es hätte mich zu Fall gebracht, wenn ich mich der Schwere ergeben hätte, die sich von Trauer und schlechtem Gewissen ernährt.
An jedem einzelnen Tag geschehen in unserer Stadt Akte der Güte. Ein Jemand gibt sein Bett her, damit ein anderer seine müden, schmerzenden Knochen niederlegen kann. Wieder jemand anderes reicht einem Fremden einige Münzen. Es gibt heiÃe Suppe und ein wenig Glück, sanfte Worte und Brot.
Aber es geschehen auch schmähliche Dinge, schlimmer, als man es sich vorzustellen vermag. Der Himmel stehe Ihnen bei, wenn Sie ein solches Unheil ereilt. Die Erinnerung an derlei Grausamkeit wird Sie ewig heimsuchen.
23. November 1871 ⢠THE EVENING STAR
MANN SUCHT ZUFLUCHT NACH ANGRIFF DURCH STRASSENBANDE
E s ist wohl den meisten New Yorkern bekannt, dass sich die Besucher der Bowery Concert Hall aus allen Gesellschaftsschichten rekrutieren â von Uniformierten über
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