Der verbotene Garten
bei den simpelsten Aufgaben. Ich kann Caroline die Grausamkeiten, die sie diesem Wesen angetan hat, nicht mal verübeln. Glauben Sie mir, all das hatte sich dieses Kind selbst zuzuschreiben. Es hat Mrs. Wentworth in einen grässlichen Zustand versetzt und Caroline das Leben noch schwerer gemacht.«
Ich senkte den Blick und kämpfte gegen das flaue Gefühl in meinem Magen an.
»Ach was, Miss Fenwick, keine Sorge«, sagte Nestor. »Was Caroline heute Morgen mit Ihnen angestellt hat, war doch nur ein Test. Sie wird schon auftauen, warten Sie ab. Davon abgesehen hat Mrs. Wentworth, und nicht Sie, Caroline so aus der Fassung gebracht. Denn in all den Jahren, in denen Caroline in diesem Haus dient, wurde die Arme kein einziges Mal für die Stellung als Zofe in Betracht gezogen. Sie wird immer wieder übergangen, und das kränkt sie ganz entsetzlich. Ich habe ihr gesagt, dass sie sich deswegen nicht grämen soll, dass das einzig und allein daran liegt, dass Mrs. Wentworth lieber ein junges, formbares Mädchen an ihrer Seite hat, aber so etwas will Caroline nicht hören.«
Als wir uns der Schlafzimmertür näherten, senkte Nestor die Stimme und gab mir letzte Anweisungen. »Achten Sie darauf, jedes Mal heiÃen Tee nachzuschenken, wenn die Lady ihre Tasse länger als fünf Minuten stehenlässt. Legen Sie ihr eine über Eck gefaltete Serviette in den SchoÃ, aber die Spitze muss unbedingt in Richtung Boden weisen. Mrs. Wentworth hat sonst das Gefühl, als würde ein Pfeil auf sie zielen. Und fragen Sie stets, wie viele Stücke Zucker sie wünscht, auch wenn die Antwort immer die gleiche sein wird â keines . Versichern Sie ihr, dass Caroline bereits die Frühstückseier bereitet (wie gewohnt pochiert und rings um das Eigelb etwas wässrig), dass es dazu Toastecken geben wird, ebenso Marmelade und â¦Â«
Nestor hatte mir wohl am Gesicht abgelesen, welche Mühe ich hatte, all dem zu folgen. »Vergessen Sie das mit der Marmelade und den Toastecken. Keine Sorge, meine Liebe, Sie werden sich schon durch den Morgentee schauspielern. Sie müssen im Grunde nur eines beherrschen: Anmut, gepaart mit gesundem Menschenverstand.«
Als ich das Zimmer betrat, saà Mrs. Wentworth an ihrem Teetisch, das Haar ein strenger Chignon, der Mund ein ebensolcher Tadel. Der seidene Morgenrock raschelte bei jeder Bewegung, so ungeduldig wie sie selbst. »Stellen Sie das Tablett dort auf den Ständer«, wies sie mich an. »Auf den Tisch kommt nur Geschirr.«
»Ja, Maâam«, erwiderte ich und befolgte ihre Anweisungen, so gut ich konnte.
Wie alle kleinen Mädchen hatte auch ich oft Teetrinken gespielt â mit einem Schhhhhh unsichtbaren dampfenden Tee eingeschenkt, eine eingebildete Tasse zwischen den Fingern gehalten und mit Miss Sweet und Mamas eisernem Hundetürstopper über das Wetter geplaudert.
Wie Caroline verschüttete auch ich keinen Tropfen, machte keinen Fehler. Ich lächelte, verbeugte mich und sprach mit sanfter Stimme. Wenn Caroline gesehen hätte, wie gut ich mich schlug, wäre ihr Hass in einen bitteren, meilenlangen Strom aus Worten geflossen.
Die gröÃte Herausforderung aber war, mich an einem Ort auf meine Aufgaben zu konzentrieren, der prachtvoller als alles war, was ich je gesehen hatte. Allein Mrs. Wentworths Ankleidebereich war drei Mal gröÃer als unsere Bleibe in der Chrystie Street. Das Schlafzimmer bot Platz für zwei Diwane, einen Tisch mit drei Stühlen, eine Frisierkommode mit einem groÃen runden Spiegel und ein gewaltiges Himmelbett mit gewundenen Pfosten, die sich bis zur Decke schraubten. Auf dem Bett türmten sich Kissen und Decken aus gesteppter Seide und Satin, in allen erdenklichen Rosatönen â in zartem Blütenrosé, schamvoller Wangenblässe, kräftigem Bonbonpink und delikatem Zungenspitzenrötlich.
Bestickter Samt verhängte die hohen Fenster und verbannte die AuÃenwelt mit seinen schweren Bahnen. Den Kaminsims zierten Kostbarkeiten, die sämtlich in Paaren auftraten: zwei Porzellanfasane, deren Bäuche aus Uhren bestanden, zwei Ingwertöpfe, zwei kleine Leuchter mit rosafarbenen Kugelschirmen, in denen ein stetes Gaslicht schimmerte. Der ganze Raum war voll wunderbarer Dinge, jedes einzelne noch perfekter als das nächste. Wenn Mama gewusst hätte, was sich hier verbarg, sie hätte jede Nacht darum gebetet, dass dieses Haus in Flammen
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