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Der verbotene Garten

Der verbotene Garten

Titel: Der verbotene Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ami McKay
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gleiten sie von ganz allein nach unten. Am Ende sollten nur noch Korsett und Pantalons übrig bleiben. Ich bin in der Nähe, falls sich eine Schleife verknotet oder eine Schnalle sich verhakt.
    Also drehte ich mich wieder zum Paravent, schaute stur geradeaus und legte meine Kleidung bis auf die Unterwäsche ab. Und dann stand ich dort.
    Als das Lied endlich zu Ende ging, schloss Miss Everett den Vorhang und führte mich aus dem Salon.
    Â»Das Kleid sollte beim nächsten Mal noch langsamer fallen, meine Liebe«, sagte sie. »Und schlag die Augen nieder. Ich wage zu behaupten, dass du mit deinem entschlossenen Blick den Männern Angst einjagst.«
    Dann legte sie mir einen Morgenmantel über die Schultern und fügte hinzu: »Ich habe Großartiges mit dir vor, Ada. Wenn alles gut geht, wirst du zu einer zweiten Rose.«
    Ich weinte die ganze Nacht lang in mein Kissen.
    Alice kam zu mir ans Bett und flüsterte: »Du solltest beten. Das tue ich immer. Bitte Gott, deinen Schmerz zu lindern.«
    Alice glaubte, wenn sie sich hinkniete, die Hände faltete und mit der Luft sprach, würden Engel herbeischweben und ihre Sorgen gen Himmel tragen. »Bei so etwas würde ich doch niemals lügen«, sagte sie.
    Ich hatte mich ein Leben lang danach gesehnt, dass mich jemand wollte – dass Mama sagen würde, wie lieb sie mich hatte, oder mein Vater zurückkäme. Es erschien mir so ungerecht: Nun wurde ich endlich gewollt, doch nur auf die Art, die in Miss Everetts Salon an der Tagesordnung war. Und es würde auch nicht helfen, wenn Gott erfuhr, dass es mich gab.

Gestern wurde im East River, bei den Docks an der alten William H. Webb Werft, die Leiche einer Unbekannten aufgefunden. Dem Gerichtsmediziner zufolge handelt es sich um Unfall durch Ertrinken. Fremdeinwirkung wird ausgeschlossen. Das Alter der Unbekannten wird auf etwa vierzig geschätzt; sie trug ein schlichtes Kleid und einen Seidenschal um den Kopf. Da die Verstorbene nicht identifiziert werden konnte, wurde der Leichnam im Anschluss an die gerichtsmedizinische Untersuchung zur Beisetzung auf den Armenfriedhof überführt.
    The Evening Star , 5. November 1871
    XIX
    S eit ich so alt war, dass ich mir die Zahl auf unserer Haustür merken konnte, hatte mich Mama nachts allein gelassen. Angeblich hatte sie dann Dinge zu tun, die sich bei Tage nicht tun ließen, und davon abgesehen sei das eben so. Bevor sie fortgegangen war, hatte sie mich immer noch ins Bett gebracht und angewiesen, dort zu bleiben. Wenn sie weg war, hatte ich mir in der Dunkelheit eine Gute Mutter erträumt, die sich um mich kümmerte, bis Mama wieder heimkam.
    Meine Gute Mutter war ganz anders als Mama. Sie war dick und glücklich, unter ihrem Kleid wellte sich das Fleisch. Wenn sie mich in die Arme schloss, konnte ich vor Wärme kaum noch atmen. Sie störte sich an nichts, und wenn sie lächelte, strahlten ihre Zähne weiß, nur vorn hatte sie eine Lücke, da fehlte ihr ein Zahn. Dort hindurch pfiff sie alberne Liedchen, mit denen sie mich zum Lachen bringen wollte. Zum Schluss brachte mich die Gute Mutter immer ins Bett und steckte Miss Sweet zu mir unter die Decke. Dann wartete sie mit uns und fragte sich, so wie ich, ob dies die Nacht wäre, in der Mama nicht mehr heimfand.
    Nun war sie gekommen und rüttelte mich an meiner Schulter aus dem Schlaf.
    Â»Wach werden, Moth.«
    Doch es war Miss Everett, die mich bei meinem richtigen Namen nannte und aus dem Bett scheuchte. »Wickel dich einfach in einen Quilt, Liebes. Unten wartet jemand auf dich. Es ist dringend.«
    Ich folgte ihr in den Salon und rieb mir den Schlaf aus den Augen.
    Mrs. Riordan saß auf der Couch, die Lippen grimmig zusammengepresst, in ihren schäbigen, zusammengewürfelten Kleidern. Es war ein sonderbarer Anblick inmitten von Miss Everetts makellosen Polstermöbeln. Ich gab Mrs. Riordan einen Kuss auf die Wange. Ich hatte sie zuletzt an dem Tag gesehen, bevor mich Mr. Cowan bedrängt hatte. Mr. Bartz hätte ihr nicht ohne guten Grund verraten, wo ich war. Es musste etwas Schreckliches geschehen sein.
    Â»Ihnen geht es, hoffe ich, gut?«, fragte ich.
    Â»Gut genug«, erwiderte sie. Sie lächelte gezwungen und sagte: »Mr. Bartz bittet um Entschuldigung.«
    Miss Everett warf mir von der Schwelle aus mitleidige Blicke zu. »Mrs. Coyne hat sich schon schlafen gelegt«, sagte sie. »Aber ich mache Ihnen gern eine Kanne

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