Der verbotene Garten
nein.«
In dem Moment, als ich meine Hand zurückzog, tauchte eine andere Frau zwischen den Kostümen auf. Dr. Sadie und ich schnappten vor Schreck nach Luft.
»Guten Tag«, gurrte sie und äugte über ihren geöffneten Fächer. Ihr Kleid war mit mehreren Reihen Rüschen besetzt, passend zu den Büscheln farbiger Federn in ihrem Haar. Dann schlug sie den Fächer zu und offenbarte das ganze Gesicht. Eine Hälfte war zart und weich, wie die einer Frau, die andere rau und bärtig, wie die eines Mannes.
»Oh!«, entfuhr es mir.
Mit tiefer, brummiger Stimme fragte sie: »Was ist denn, Herzchen, magst du mich nicht mehr?« Dazu klimperte sie mit den Augenlidern, zog am Kringel ihres halbseitigen Bartes und lachte.
Dr. Sadie lachte mit. »Miss Eva, Sie sind eine ganz Schlimme.«
Ich konnte den Blick nicht von ihr lösen. Wie viele Männer waren ihretwegen wohl schon in Wallung geraten, vor Entzücken und Entsetzen zugleich?
»Miss Eva ist eine erstaunliche Schwertschluckerin«, sagte Dr. Sadie, nachdem sich das allgemeine Gelächter gelegt hatte. »Und wie Miss LeMar ist auch sie tagsüber Näherin, nachts aber ein Star der Bühne.«
»Ich fürchte, ich werde eine Weile nicht auf der Bühne stehen«, klagte Miss Eva und legte eine Hand an den Hals. »Ich leide an einem schlimmen Schwerthals.«
»Wie lange plagt er Sie denn schon?«
»Drei Tage«, klagte sie.
»Was könnte das verursacht haben? Haben Sie beim Ãben etwas anders gemacht?«
Miss Eva dachte nach.
»Sie hat sich den Säbel eines gefallenen Soldaten in den Rachen geschoben«, warf Miss LeMar kopfschüttelnd ein. »Ich habe ihr dringend geraten, das Ding loszuwerden. Es ist verflucht.«
Miss Eva beachtete den Einwand nicht. »Ich habe die Anzahl der Schwerter erhöht. Ich hatte gehofft, bis zum Ende des Monats sieben auf einmal zu schaffen.«
Dr. Sadie runzelte die Stirn. »Verstehe. Ich muss Ihnen wohl weniger Ehrgeiz verordnen«, schlug sie vor. »Dazu heiÃen Tee mit Zitrone und Honig sowie eine Woche Ruhe.«
»Wie wäre es mit zwei Tagen?«, feilschte Miss Eva. »Mr. Dink hat mich für Freitag und Samstag eingeplant.«
»Drei Tage, und ich rede selbst mit Mr. Dink.«
Während der Doktor und Miss Eva verhandelten, hatte Miss LeMar nach einem geeigneten Kleid für mich gesucht. SchlieÃlich kam sie mit einer glänzenden schwarzen Robe mit langen Ãrmeln und hohem Kragen aus dem Labyrinth der Kleiderstangen zurück.
»Viel zu schlicht«, seufzte Miss Eva und verdrehte die Augen.
»Du hast einfach kein Gefühl für Schicklichkeit«, erwiderte Miss LeMar und verschwand wieder in dem Gewoge aus Tüll und Seide.
Das nächste Kleid hatte einen ausladenden Reifrock mit Schleifen.
»Davon wird man ja schwermütig«, lamentierte Miss Eva. »Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich dieses Kleid verabscheue.«
»Du bist unmöglich!«, rief Miss LeMar.
»Das Kleid ist unmöglich â¦Â«
Mitten während des Gezänks erschien Mr. Dink, um sich nach den Fortschritten zu erkundigen. Er holte sein Büchlein heraus, zeigte Dr. Sadie die Zeichnung und schwärmte ihr von seinen groÃartigen Plänen für mich und seine Porträtkarten vor.
Dr. Sadie schaute auf die Skizze, dachte nach, beugte sich zu Mr. Dink und verkündete: »Ich glaube, ich habe das perfekte Kleid.«
»Und Sie wären bereit, es dem Mädchen zu leihen?«, fragte er.
»Es gehört ihr.«
Wir lieÃen Miss LeMar und Miss Eva mit ihrem Streit allein und folgten Mr. Dink durch einen langen Korridor, der sich hinter einer Tür am Ende des Fundus erstreckte.
»Hätten Sie Zeit, meine jüngste Erwerbung zu bestaunen?«, fragte er Dr. Sadie.
Ihre Augen weiteten sich. »Sie ist etwa schon da?«
»Oh ja.« Er grinste. »Miss Gertu ist bereits eingetroffen.«
Dr. Sadie eilte Mr. Dink nach, ich schlenderte ihnen hinterher, durch eine Reihe gewundener Tunnel, die ins Erdgeschoss führten. Dann kamen wir ins Museum.
Die Räume standen voller Vitrinen und Schränke, vom Boden bis an die Decke.
Ãberall lauerten ausgestopfte Tiere auf ihren Gestellen samt Goldschnittkarte â ein Steinadler mit ausgebreiteten Schwingen, eine schwarze Dschungelkatze aus Peru, ein wilder Bär auf den Hinterbeinen und ein braunes Huhn, das vier Beine und drei
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