Der verbotene Ort
Hand.
»Ich habe Sie nicht kommen hören.«
»Ich bitte Sie«, entgegnete Josselin und öffnete seine Tür. »Wie geht es der kleinen Charme? Dem Kätzchen, das nicht saugte«, fügte er erklärend hinzu, als er sah, dass Adamsberg mit dem Namen nichts anzufangen wusste.
»Gut, nehme ich an. Ich bin seit gestern nicht mehr zu Hause gewesen.«
»Bei diesem Presserummel kann ich mir das schon vorstellen. Dennoch, lassen Sie es mich bitte wissen, ja?«
»Jetzt gleich?«
»Es ist wichtig, seine Patienten in den ersten drei Tagen nach einem Eingriff zu beobachten. Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber dürfte ich Sie bitten, mich in die Küche zu begleiten? Ich hatte Sie nicht erwartet und muss mich erst einmal stärken. Vielleicht haben Sie auch noch nicht zu Abend gegessen? So ist es doch, nicht wahr? Dann könnten wir in aller Bescheidenheit gemeinsam eine Kleinigkeit zu uns nehmen, nicht wahr?«
Da sage ich nicht nein, dachte Adamsberg, und er suchte nach dem richtigen Ton, um Paul de Josselin zu antworten. Diese Leute, die ständig »nicht wahr?« sagten, irritierten ihn immer ein wenig bei der ersten Begegnung. Während der Arzt sein Jackett ablegte und eine alte Strickjacke überzog, rief Adamsberg kurz den alten Lucio an, der sehr überrascht war, dass er sich nach dem Befinden von Charme erkundigte. Es ging ihr gut, die Kräfte kehrten allmählich zurück, Adamsberg gab die Nachricht weiter, und Josselin schnipste zufrieden mit den Fingern.
Man sollte nie dem Schein trauen, und niemand kennt den anderen – das sind alte Weisheiten. Adamsberg war selten mit größerer Natürlichkeit und Gastlichkeit von einem Fremden empfangen worden. Der Doktor hatte seine zweideutige Arroganz abgestreift, wie er sein Jackett an der Garderobe gelassen hatte, legte nachlässig zwei Gedecke auf den Tisch, die Gabeln rechts, die Messer links, mischte einen Salat mit geraspeltem Käse und gehackten Nüssen, schnitt ein paar Scheiben von einem geräucherten Schweinebraten ab, häufte auf jeden Teller zwei Kugeln Reis und eine Kugel Feigenpüree, die er mit einer zuvor mit dem Finger eingefetteten Eiskelle geformt hatte. Adamsberg sah ihm fasziniert zu, wie er wie ein Schlittschuhläufer zwischen Schrank und Tisch hin und her glitt, seine mächtigen Hände graziös im Einsatz, ein Schauspiel an Geschicklichkeit, Delikatesse, Präzision. Der Kommissar hätte ihm noch lange so zusehen können, wie man einem Tänzer zusieht, der einen bezaubert, weil er etwas zu vollbringen weiß, dessen man selbst unfähig ist. Dabei brauchte Josselin nicht einmal zehn Minuten, um alles anzurichten. Mit kritischem Blick sah er dann auf die geöffnete Weinflasche auf dem Tresen.
»Nein«, sagte er und stellte sie wieder hin, »ich habe so selten Gäste, es wäre schade.«
Er tauchte unter seinen Spültisch, prüfte seine Vorräte und richtete sich mit einer geschmeidigen Bewegung wieder auf, seinem Gast das Etikett der neuen Flasche präsentierend.
»Schon besser, nicht wahr? Den aber ganz allein zu trinken, als einsames Fest, hat etwas Pathetisches, nicht wahr? Der Geschmack eines edlen Weins offenbart sich in Gesellschaft mit einem anderen. Darf ich Sie dazu einladen?«
Mit einem zufriedenen Seufzer ließ er sich auf den Stuhl fallen und stopfte sich auf ganz ordinäre Weise, wie irgendein Émile, seine Serviette in den Hemdkragen. Zehn Minuten später war die Unterhaltung schon so gelöst wie seine ärztlichen Handbewegungen.
»Der Hauswart hält Sie für einen Magier«, sagte Adamsberg, »einen Heiler, einen Menschen mit goldenen Fingern.«
»Ach was«, erwiderte Josselin mit vollem Mund. »Francisco glaubt nur gern an Dinge, die über ihn hinausgehen, und das kann man verstehen, wenn man weiß, dass seine Eltern während der Diktatur deportiert wurden.«
»Von diesen Hurensöhnen, Gott verdamm’ sie.«
»Genau. Ich verbringe viel Zeit damit, dieses Trauma zu lindern, seine Sicherung brennt dauernd durch.«
»Seine Sicherung?«
»Jeder Mensch hat eine, ja mehrere. Bei ihm ist es die S3, die rausspringt. Eine Art Sicherheitsventil, wie bei einem Stromkreis. Das alles ist nichts weiter als Wissenschaft, Kommissar. Struktur, Anordnungen, Netzwerke, Kreisläufe, Schaltverbindungen. Knochen, Organe, Schaltstellen, der Körper ist in ständigem Fluss, verstehen Sie.«
»Nein.«
»Nehmen Sie den Heizkessel da«, sagte Josselin und zeigte auf das Gerät an der Wand. »Ein Heizkessel ist nicht einfach die Summe einzelner Bauteile,
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