Der verbotene Ort
Gehäuse, Wasserzulauf, Zirkulator, Dichtungen, Brenner, Sicherheitsventil, nein, er ist ein synergetisches Ensemble. Wenn der Zirkulator verdreckt ist, fliegt das Ventil raus, erlischt der Brenner. Verstehen Sie? Alles greift ineinander, die Bewegung jedes einzelnen Elements hängt von der des anderen ab. Wenn Sie sich den Fuß verstauchen, nimmt das gesunde Bein eine veränderte Haltung an, der Rücken stellt sich schief, der Hals reagiert, der Kopf schmerzt, der Magen verkrampft, der Appetit geht weg, die Aktivität schwindet, Angst stellt sich ein, die Sicherungen brennen durch. Ich habe vereinfacht.«
»Warum brennt Franciscos Sicherung durch?«
»Blockade«, sagte der Arzt und tippte mit dem Finger auf seinen Hinterkopf. »Dort, wo sein Vater ist. Das Segment ist fest, das Occiput bewegt sich nicht mehr. Möchten Sie noch etwas Salat?«
Er tat Adamsberg noch einmal auf, ohne seine Antwort abzuwarten, wie er auch sein Glas von neuem füllte.
»Und bei Émile?«
»Die Mutter«, sagte der Arzt, geräuschvoll kauend, und wies mit dem Finger auf die andere Seite seines Kopfes. »Akutes Empfinden von Ungerechtigkeit. Und dann schlägt er zu. Aber inzwischen kaum noch.«
»Und Vaudel?«
»Da wären wir also doch bei ihm.«
»Ja.«
»Nun, da die Presse alle Einzelheiten mitgeteilt hat, ist das Berufsgeheimnis ja wohl gegenstandslos geworden. Informieren Sie mich. Vaudel wurde auf grässliche Weise zerlegt, wenn ich recht verstanden habe. Aber wie, warum, was wollte der Mörder? Haben Sie eine Logik darin erkennen können, ein Ritual?«
»Nein, eher eine wahnsinnige Angst, einen unstillbaren Zorn. Ein System zweifellos, doch ein uns unbekanntes System.«
Adamsberg zog sein Notizheft heraus, zeichnete den Körper auf und markierte die Zonen, auf die sich der Mörder konzentriert hatte.
»Sehr gut«, meinte der Mediziner. »Ich kann nicht mal eine Ente zeichnen.«
»Eine Ente ist auch schwerer.«
»Zeichnen Sie mir bitte eine. Und glauben Sie nicht, dass ich nicht gleichzeitig über das System nachdenke.«
»Eine Ente wie? Im Flug, ruhend, beim Tauchen?«
»Warten Sie«, sagte der Arzt und stand auf, »ich hole besseres Papier.«
Er schob die Teller zur Seite, legte einige weiße Blätter vor Adamsberg hin.
»Eine Ente im Flug.«
»Männchen? Weibchen?«
»Beides, wenn Sie können.«
Danach erbat Josselin nacheinander eine Steilküste, eine sinnende Frau und einen Giacometti, wenn möglich. Er wedelte mit den fertigen Zeichnungen in der Luft, damit die Tinte trocknete, und hielt sie unter die Lampe.
»Das, Kommissar, sind goldene Finger. Ehrlich, ich würde Sie gern untersuchen. Aber Sie wollen nicht. Wir haben alle unsere geschlossenen Räume, von denen wir nicht möchten, dass der Erstbeste sie betritt, nicht wahr? Aber seien Sie unbesorgt, ich bin kein Hellseher, ich bin nur ein phantasieloser Positivist. Sie dagegen ...«
Der Doktor legte die Zeichnungen sorgsam auf das Fensterbrett und trug Gläser und Flaschen wie auch die Dar stellungen von Vaudels Körper in seinen Salon hinüber.
»Was haben Sie daraus abgeleitet?«, fragte er, legte seine große Hand auf die Zeichnung und tippte auf Ellbogen, Knöchel, Knie, den Schädel.
»Dass der Mörder zerstört hat, was den Körper in Bewegung hält, die Gelenke, die Füße. Das bringt mich nicht weit.«
»Hirn, Leber, Herz, er scheint auch die Verbreitung der Seelen im Auge zu haben, nicht wahr?«
»Das schlägt mein Stellvertreter vor. Der Mann ist mehr als ein Mörder, er ist ein Vernichter, ein ›Zerquetscher‹, wie der österreichische Kommissar sagt. In der Nähe von Wien hat er noch einen anderen Menschen auf diese Weise zerstört.«
»Aus der Familie von Vaudel?«
»Warum?«
Josselin zögerte, bemerkte, dass der Wein ausgetrunken war, holte aus einem Schrank eine dickbauchige grüne Flasche.
»Birnenschnaps, mögen Sie?«
Nein, er mochte nicht, der Tag war zu lang gewesen. Doch Josselin mit seinem Birnenschnaps allein zu lassen hieß, das gute Einvernehmen aufs Spiel zu setzen. Adamsberg sah ihn die beiden kleinen Gläser füllen.
»Es war nicht einfach eine Blockade, die ich in Vaudels Schädel entdeckt hatte, es war etwas weit Schlimmeres.«
»Was war in Vaudels Schädel, Doktor?«, beharrte Adamsberg.
»Ein hermetisch verschlossener Käfig, ein Zimmer, in dem es spukte, ein schwarzes Verlies. Er lebte in der Obsession dessen, was darin war.«
»Und was war das?«
»Er selbst. Mit seiner ganzen Familie und deren Geheimnis.
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