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Der verbotene Ort

Titel: Der verbotene Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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diesmal nur mit einem flüchtigen Handzeichen an ihr vorübergegangen. Sicher wollte er zum Zug. Weill konnte es nicht bestätigen, er stand erst zur ehrbaren Zeit von zwölf Uhr auf. Er mochte seinen jungen Nachbarn, und die Nachricht von dem Verbrechen hatte ihn dermaßen verstimmt, dass er sich nahezu schmollend in sich verschlossen und nur überflüssige Auskünfte gegeben hatte. Seltsamerweise zeigte sich Retancourt von diesen schlechten Nachrichten gar nicht beeindruckt. Möglich, dass Weill, der ein namhafter Weinkenner war, das Observierungsteam ein wenig zerstreut und ihm in geschliffenen Gläsern einen Jahrgangswein kredenzt hatte. Bei Weill, der nur maßgeschneiderte Sachen trug, aufgrund seines Vermögens, seines Snobismus und der einzigartigen Kontur seines kreiselförmigen Leibes, war alles denkbar, sogar die Irreführung eines Polizeitrupps auf Beobachtungsposten, die ihm ganz sicher ein paradoxales Vergnügen bereitet haben musste. Hatte seine Nachsicht für seinen Nachbarn Retancourts Wachsamkeit getrübt? War sie sich nicht darüber im Klaren, dass sie das Domizil eines Wahnsinnigen beobachtete, des Zerquetschers, der einen alten Mann zu Brei geschlagen hatte? »Informieren Sie Weill darüber«, sagte Adamsberg, »dass er in Österreich einen weiteren Menschen zerstückelt hat.«
     
    Das Team Voisenet-Kernokian dagegen traf er ziemlich entnervt auf dem Rückweg an. Raymond Réal, der Vater des Künstlers, hatte erst nach zehn Minuten eingewilligt, sein Gewehr abzulegen und sie in seine Dreizimmerwohnung in einem Souterrain in Survilliers hereinzulassen. Ja, er wusste Bescheid, und er pries den Rächer, der diesen alten Schurken von Vaudel um die Ecke gebracht hatte, gebe der Himmel, dass die Bullen ihn nie zu fassen kriegten. Die Zeitungen seien ja früh genug draußen gewesen, dass er ihnen durch die Lappen gehen konnte, ein wahrer Segen sei das. Vaudel habe mindestens zwei Tote auf dem Gewissen, seinen Sohn und seine Frau, das möge man bitte schön nie vergessen. – Ob er wüsste, wer Vaudel getötet habe? Ob er wüsste, wo seine beiden Söhne seien? – Ja, bildeten die Bullen sich tatsächlich ein, dass er ihnen auch nur den geringsten Hinweis geben würde, um ihnen zu helfen? Wo glaubten sie denn, dass sie wären, die Bullen? Wo lebten sie denn? Kernokian hatte gemurmelt: »In der Scheiße«, und dieses Bekenntnis hatte den Mann ein wenig beruhigt.
    »Im Grunde«, erklärte Voisenet, »hat er uns nicht mal ausreden lassen. Verstehen Sie, das Gewehr lag auf dem Tisch, eine Schrotflinte, gewiss, aber jederzeit schussbereit. Er ist ein riesiger Kerl, hat drei Hunde, und seine Höhle – ich weiß kein anderes Wort dafür – ist voll von Motoren, Batterien und Jagdfotos.«
    »Sie wissen also rein gar nichts über seine beiden anderen Söhne?«
    »Er hat wörtlich gesagt: ›Der Ältere ist in der Legion, der Jüngere ist Fernfahrer, München–Amsterdam–Rungis, also sehen Sie zu.‹ Dann hat er uns aufgefordert, auf der Stelle zu verschwinden, denn ›solange Sie hier sind, stinkt’s‹. Womit er recht hatte«, fügte Voisenet hinzu, »denn Kernokian war es ja, der dem Hund das Fell gestutzt hat.«
     
    Adamsberg streckte seinen Arm unter den Glastisch, um einen Gegenstand aufzuheben, den einer von Dr. Josselins Patienten dort verloren hatte, ein kleines Herz aus Schaumstoff, bezogen mit roter Seide, das man in der Hand zusammendrücken konnte, um seine Nerven zu beruhigen. Während er Gardon anrief, schnipste er es auf den Tisch und sah zu, wie es rotierte. Beim dritten Versuch gelang es ihm, dass es vier Sekunden lang seine Pirouetten drehte. Ziel war es, so beschloss er, dass die vier Buchstaben auf seiner Vorderseite – Love – beim Stillstand in die richtige Richtung zeigten. Beim sechsten Versuch hatte er es geschafft, er bat Gardon gerade, aus den Hinterlassenschaften des alten Vaudel alle Postkarten herauszusuchen. Der Brigadier las ihm die Nachricht vor, die sie von der Polizei in Avignon erhalten hatten: Pierre Vaudel sei an diesem Nachmittag im Gericht gewesen, in Vorbereitung eines Plädoyers, so hieß es. Die Information war nicht überprüft worden. Um 19 Uhr 12 sei er nach Hause zurückgekehrt. Gut beschützt, der Herr, schloss Adamsberg. Er legte auf und schleuderte das Schaumstoffherz auf den Tisch, seine Umdrehungen zählend. Der Zerquetscher war unterwegs, aber zu wem?
    »Er ist Ihnen entwischt, nicht wahr?«
    Adamsberg erhob sich müde und drückte dem Arzt die

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