Der verbotene Ort
schwebte, den Pfeil, den jene Leute da oben abgeschossen hatten und der sein Ziel wohl bald erreichen würde. Lag Dinh noch immer fiebernd im Bett? War es ihm gelungen, die Probe aufzuhalten? Und Émile? Der Hund? Und der Typ, der seine Gönnerin mit Bronze übermalt hatte? Alle verblassten ein wenig in dem Nebel, den Kisilova sanft in seinen Geist senkte.
»Du bist spät aufgestanden«, sagte Vlad schließlich in gereiztem Ton.
»Ja.«
»Du hast nicht gefrühstückt. Adrianus sagt, du würdest immer mit dem ersten Hahnenschrei aufstehen wie ein Bauer, du wärst vier Stunden vor ihm in der Brigade.«
»Ich habe den Hahn nicht gehört.«
»Ich glaube, du hast den Hahn sehr wohl gehört. Ich glaube, du hast mit Danica geschlafen.«
Adamsberg lief wortlos ein paar Meter.
»Plog«, sagte er.
Vladislav brachte mit der Fußspitze einen Kieselstein ins Rollen, er zögerte, dann lachte er leise. Mit seinen über die Schultern fallenden Haaren sah er aus wie ein slawischer Krieger, der sein Pferd spornt, um gen Westen zu reiten. Er zündete sich eine Zigarette an und fiel in seinen natürlichen Plauderton zurück.
»Du verlierst deine Zeit bei Arandjel. Du wirst einen Haufen sehr gelehrter Dinge erfahren, aber nichts, was dich in deiner Ermittlung voranbringen wird, nichts, was du in deinen Bericht schreiben kannst. Blödsinn, wie Adrianus sagt.«
»Das macht nichts, ich kann ohnehin keine Berichte schreiben.«
»Und dein Chef? Was wird der sagen? Dass du an die Donau fährst, um mit einer Frau zu schlafen, während in Frankreich ein Mörder frei herumläuft?«
»Das denkt der mehr oder weniger immer. Mein Chef, oder wer immer da oben meinen Chef in der Hand hat, versucht mich hochgehen zu lassen. Da bilde ich mich lieber hier.«
Vladislav stellte Adamsberg Arandjel vor, der mit dem Kopf nickte und gleich die Schüssel mit dem gefüllten Kohl auf den Tisch stellte. Vladislav tat schweigend auf.
»Du hast den Stein von Blagojević gesäubert«, sagte Arandjel, während er sich die ersten sehr großen Bissen in den Mund schob. »Du hast das Moos abgeschabt. Du hast den Namenszug ausgekratzt.«
Vladislav übersetzte simultan und so schnell, dass Adamsberg den Eindruck hatte, er spräche direkt mit dem alten Mann.
»War das ein Fehler?«
»Ja. Man darf an sein Grab nicht rühren, sonst weckt man ihn auf. Die Leute hier fürchten ihn, manch einer könnte es dir verübeln, dass du seinen Namen freigelegt hast. Einige könnten sogar denken, dass er dich zu sich gerufen hat, um dich zu seinem Diener zu machen. Und dich töten, bevor du den Tod säst im Dorf. Petar Blagojević sucht einen Diener. Verstehst du? Das ist es, was Biljana fürchtet, die Frau, die dich zurückhalten wollte. ›Er hat dich angezogen, er hat dich angezogen‹, das hat sie zu dir gesagt, sie hat es mir selbst berichtet.«
»On te je privukao, on te je privukao« , wiederholte Vladislav auf Serbisch.
»Ja, das hat sie gesagt«, gab Adamsberg zu.
»Begib dich nicht unwissend in die Welt der vampiri , junger Mann.«
Arandjel legte eine Pause ein, damit der Gedanke Zeit hätte, tief in Adamsbergs Kopf einzudringen, dann schenkte er den Wein ein.
»Vlad hat mir gestern Abend gesagt, was dich an der Geschichte von Blagojević interessiert. Stell deine Fr agen. Aber geh nicht an den Ungewissen Ort.«
»Wo ist das?«
»Am Ungewissen Ort. Das ist der Name der Lichtung, wo er ruht. Nicht, dass der arme Petar über dich herfallen könnte, aber ein sehr lebendiger Mensch. Versteh, dass die Sicherheit des Dorfes mehr als alles andere zählt. Iss, bevor es kalt wird.«
»Adamsberg gehorchte und aß seinen Teller zu drei Vierteln leer, bevor er zu reden begann.
»Es hat in Frankreich und in Österreich zwei furchtbare Morde gegeben.«
»Ich weiß. Vlad hat es mir erzählt.«
»Ich vermute, dass beide Opfer zur Nachkommen schaft von Blagojević gehören.«
»Blagojević hat keine unter diesem Namen bekannte Nachfahren. Alle Mitglieder seiner Familie haben das Dorf unter ihrem österreichischen Namen Plogojowitz verlassen, damit die Leute von hier sie niemals wiederfä nden. Aber es kam heraus durch die Reise eines Kiseljevaners im Jahr 1813 nach Rumänien, der nach seiner Rückkehr diesen Namen Plogojowitz auf dem Stein hinzu fügte. Die heutigen Nachfahren von Blagojević, so es denn we lche gibt, heißen alle Plogojowitz. Woran also denkst du?«
»Die Opfer wurden nicht nur getötet, ihre Körper wurden in Nichts aufgelöst. Und gestern habe
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