Der verbotene Turm
habe, daß jetzt ein wohltuender Nebel alles verschleierte. Andrew war nichts mehr als ein empfindender, reagierender Körper, angetrieben von langer Entbehrung, nichts anderes mehr wahrnehmend als die willige Frau in seinen Armen, die ebenso erregt und zärtlich war wie er. Er suchte die ihm lange verweigerte Erfüllung. Als sie kam, war sie so heftig, daß er glaubte, das Bewußtsein zu verlieren.
Eine Weile später verlagerte er vorsichtig sein Gewicht. Ellemir strich ihm lächelnd das Haar aus dem Gesicht. Er fühlte sich ruhig, erlöst, dankbar. Nein, es war mehr als Dankbarkeit, es war eine Nähe wie … ja, wie der Augenblick, als sie sich in der Matrix begegnet waren. Er sagte leise: »Ellemir.« Es war eine Bestätigung, eine Versicherung. Jetzt war sie ganz sie selbst, weder Callista noch sonst jemand. Sie küßte ihn leicht auf die Schläfe, und plötzlich überwältigten ihn Erschöpfung und die Erfüllung der lange unbefriedigten Sehnsucht. Er schlief in Ellemirs Armen ein. Als er erwachte – er wußte nicht, wie viel Zeit vergangen war –, blickte Damon auf ihn nieder.
Damon sah müde und ausgehöhlt aus, und Andrew durchfuhr es wie ein Schock, daß hier der beste Freund stand, den er je gehabt hatte, und er lag mit seines Freundes Frau im Bett.
Ellemir setzte sich rasch auf. »Callista …?«
Mit einem tiefen Seufzer antwortete Damon: »Mit ihr kommt alles wieder in Ordnung. Sie schläft jetzt.« Er taumelte und wäre beinahe auf die beiden gefallen. Ellemir streckte ihre Arme aus und zog ihn an ihre Brust.
Erst kam Andrew sich sehr überflüssig vor. Dann spürte er Damons Erschöpfung und erkannte, wie nahe der Freund einem Zusammenbruch war. Andrew sagte sich, auf ihn selbst und seine Gefühle komme es wahrlich nicht an. Unbeholfen, nur von dem Wunsch beseelt, seine Empfindungen irgendwie auszudrücken, legte er einen Arm um Damons Schultern.
Damon seufzte von neuem. »Callista geht es besser, als ich zu hoffen wagte. Natürlich ist sie sehr schwach und erschöpft. Nach allem, was ich sie habe durchmachen lassen …« Er erschauerte, und Ellemir zog seinen Kopf an ihre Brust.
»War es so schrecklich, Geliebter?«
»Schrecklich, ja, schrecklich für sie «, murmelte Damon, und sogar jetzt noch – Ellemir zerriss es das Herz – versuchte er, sie und Andrew vor den Schrecken seiner Erinnerungen abzuschirmen. »Sie war so tapfer, und ich konnte es nicht ertragen, daß ich ihr so wehtun mußte.« Seine Stimme brach. Er versteckte sein Gesicht an Ellemirs Brust und brach in hartes, hilfloses Schluchzen aus.
Andrew wollte sich entfernen, aber Damon faßte nach seiner Hand und umklammerte sie krampfhaft. Andrew überwand sein Unbehagen, in dieser Situation zugegen zu sein. Damon brauchte allen Trost, den er bekommen konnte! Als sich Damon beruhigt hatte, fragte Andrew ganz leise: »Sollte ich bei Callista sein?«
Damon entging der Unterton nicht. Du und Ellemir würdet sicher lieber allein sein . Für ihn in seinem aufgewühlten, nervösen Zustand war es eine schmerzliche Zurückweisung. Seine Stimme klang scharf vor Erschöpfung.
»Sie würde gar nicht merken, ob du da bist oder nicht. Aber tu, verdammt noch mal, was du willst!« Und das, was er nicht aussprach, war ebenso deutlich wie die lauten Worte. Wenn du es nicht erwarten kannst, von uns wegzukommen.
Er versteht immer noch nicht …
Damon, wie kann er es verstehen? Ellemir verstand es selbst kaum. Sie wußte nur, wenn Damon so war, schmerzte es sie. Seine Not war so viel größer als der Trost, den sie ihm geben konnte. Ihre eigene Unzulänglichkeit quälte sie. Das war kein sexuelles Verlangen – das hätte sie verstehen und befriedigen können. Nein, es war eine Not, die über ihr Begreifen hinausging und sie erschöpft und hilflos zurückließ. Etwas von ihrer Verzweiflung kam zu Andrew durch, obwohl sie nichts weiter sagte als: »Bitte, bleib. Ich glaube, er möchte uns jetzt beide bei sich haben.«
Damon klammerte sich krampfhaft an Andrew ebenso wie an Ellemir. Das Bedürfnis nach körperlichem Kontakt war stark und doch nicht das, was er in Wirklichkeit brauchte. Nein, sie verstehen es nicht . Etwas vernünftiger setzte er in seinen Gedanken hinzu: Ich verstehe es selbst nicht . Im Augenblick genügte es ihm, daß sie da waren. Es war nicht vollständig, es war nicht das, was er am dringendsten brauchte, aber im Augenblick mußte es ihm genügen. Ellemir hielt ihn eng an sich gedrückt und hoffte, sie und Andrew könnten
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