Der verbotene Turm
langen Ritt durch die Kälte vor sich hatten. Damon war auf einer Bank in der Großen Halle eingeschlafen und schnarchte. Im ersten Morgengrauen konnten sich Andrew, Ellemir und Callista sagen, daß ihre Pflichten als Gastgeber beendet waren und sie nun ihre eigenen Betten aufsuchen durften. In der Großen Halle hingen die grünen Zweige schlaff von den Wänden, und überall lagen und standen leere Flaschen und Gläser und Teller mit Resten umher. Nach ein paar halbherzigen Versuchen, Damon zu wecken, der nur brummte, ließen sie ihn liegen und gingen ohne ihn nach oben. Andrew wunderte sich. Sogar bei seiner Hochzeit hatte Damon mäßig getrunken. Nun, auch ein nüchterner Mann hatte das Recht, sich zum Neujahrsfest zu betrinken.
Dann waren sie in den Räumen, die sich die beiden Paare der Hausgäste wegen für diese Nacht teilen mußten. Andrews Betrunkenheit verstärkte sein Gefühl der Frustration, das ihn wie ein Messer durchfuhr. Es war ein höllisches Leben, verheiratet zu sein und allein zu schlafen. Eine höllische Ehe bis heute und wie eine Travestie auf eine Weihnachtsgesellschaft! Andrew war elend zu Mute. Doch vielleicht, da Damon betrunken war, würde Ellemir – nein, die Frauen hatten sich beide in sein großes Bett gelegt, wie sie es während Callistas langer Krankheit immer gehalten hatten. Andrew nahm an, er werde in dem schmalen Bett schlafen müssen, das eigentlich Callista gehörte, und Damon, wenn er überhaupt nach oben kam, im Wohnzimmer der Suite.
Die Frauen kicherten miteinander wie kleine Mädchen. Hatten sie auch getrunken? Callista rief leise seinen Namen, und er ging zu ihnen hinüber. Sie lagen dicht nebeneinander und lachten in dem gedämpften Licht. Callista streckte die Hand aus und zog Andrew zu ihnen hinunter.
»Es ist hier genug Platz für dich.«
Andrew zögerte. Hatte es einen Sinn, ihn so auf die Folter zu spannen? Dann lachte er und stieg zu ihnen ins Bett. Es war so breit, daß ein halbes Dutzend Leute hätte darin liegen können, ohne sich zu drängen. Callista sagte leise: »Ich wollte dir etwas beweisen, mein Liebster«, und sanft schob sie Ellemir in seine Arme.
Schreckliche Verlegenheit schien seinen ganzen Körper zu verbrennen. Seine Leidenschaft wurde wie mit einem Guß Eiswasser ausgelöscht. In seinem ganzen Leben hatte er sich noch nie so nackt, so zur Schau gestellt gefühlt.
Hölle und Verdammnis! Er benahm sich wie ein Narr. Wäre das nicht sowieso der nächste logische Schritt gewesen? Aber Logik hatte keinen Teil an seinen Gefühlen.
Ellemir fühlte sich in seinen Armen warm, vertraut und tröstlich an.
»Was ist los, Andrew?«
Verdammt, er mußte es ihr sagen, es lag an Callistas Anwesenheit. Vermutlich wäre die Situation für manche Männer besonders erregend gewesen. Ellemir folgte seinen Gedanken, die das hier mit Exhibitionismus, mit Dekadenz, mit dem Versuch, einen abgestumpften Gaumen zu reizen, assoziierten. Sie flüsterte: »Aber so ist es doch ganz und gar nicht, Andrew. Wir sind alle Telepathen. Was auch immer wir tun, die anderen wissen es, sind Teil davon. Warum sollen wir dann vorgeben, es sei möglich, daß einer von uns die Übrigen ausschließt?«
Callistas Fingerspitzen berührten sein Gesicht. Merkwürdig, sogar im Dunkeln und obwohl die kleinen Hände von Callista und Ellemir so gut wie identisch waren, wußte er mit Bestimmtheit, daß er Callistas und nicht Ellemirs Hand auf seiner Wange fühlte!
Unter Telepathen existierte das Konzept einer Intimsphäre nicht. Wenn man in sein eigenes Zimmer ging und die Tür hinter sich schloß, tat man nur so, als ob … Und dann kam ein Zeitpunkt, wo man es nicht mehr tat.
Andrew versuchte, sich wieder in seinen früheren erregten Zustand zu versetzen, aber Alkohol und Verlegenheit hatten sich verbündet, ihn zu besiegen. Ellemir lachte, doch ihr Lachen enthielt keine Andeutung, sie finde ihn lächerlich. »Ich glaube, wir haben alle zu viel getrunken. Also schlafen wir am besten.«
Sie waren beinahe eingeschlafen, als sich die Tür des Zimmers öffnete und Damon mit schwankenden Schritten hereinkam. Lächelnd blickte er auf sie nieder. »Ich wußte doch, daß ich euch alle hier finden würde.« Er warf seine Kleider hierhin und dahin. Er war immer noch völlig betrunken. »Los, macht Platz, wo soll ich denn …«
»Damon, du wirst deinen Rausch ausschlafen wollen«, sagte Callista. »Wäre es nicht bequemer für dich …«
»Verdammt sei die Bequemlichkeit«, brummte Damon. »Niemand
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