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Der verbotene Turm

Der verbotene Turm

Titel: Der verbotene Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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erzählte, hatte sie sich des üblichen Ausdrucks bedient, der unveränderlich weiblich war. Von Varzil ausgesprochen, war das Wort ein Schock. Varzil! Der legendäre Varzil, genannt der Gute, der Hali neu erstehen ließ, nachdem die Katastrophe den dortigen See vernichtete. »In meiner Zeit bist du eine Legende, Varzil von Neskaya, besser als Lord von Hali bekannt.«
    Varzil lächelte. Er hatte ein ruhiges, intelligentes Gesicht, doch es hatte nicht den zurückhaltenden, losgelösten, isolierten Ausdruck, den Damon bei jeder Bewahrerin, die er kannte, gesehen hatte. Es war lebendig vor Neugier. »Eine Legende, Cousin? Nun, ich nehme an, Legenden lügen in deiner Zeit ebenso wie in meiner, und für mich mag es gut sein, daß ich nicht weiß, was vor mir liegt, so daß es mich weder furchtsam noch eingebildet machen kann. Sag mir nichts darüber, Damon. Doch eins hast du mir bereits verraten. Wenn dein Bewahrer eine Frau ist, hat meine Arbeit Erfolg gehabt, und diejenigen, die nicht glauben wollten, eine Frau habe genug Kraft für dies Amt, sind zum Schweigen gebracht. Und da du mir ein Geschenk gemacht hast, Damon, ein Geschenk an Vertrauen, sag mir, was kann ich dir dafür geben? Denn du würdest eine so weite Reise nicht unternehmen, wenn nicht eine dringende Notwendigkeit bestünde.«
    »Die Notwendigkeit betrifft nicht mich, sondern meine Verwandte«, sagte Damon. »Sie ist dazu ausgebildet worden, Bewahrerin in Arilinn zu sein. Doch sie wurde von ihrem Eid befreit, um heiraten zu können.«
    »Mußte sie dazu erst befreit werden?« fragte Varzil. »Aber woran fehlt es? Selbst heutzutage wird kein Bewahrer mehr chirurgisch verstümmelt, Verwandter. Oder hältst du mich für einen Eunuchen?« Er lachte mit einer Fröhlichkeit, die Damon aus irgendeinem Grund an Ellemir erinnerte.
    »Nein, aber sie verharrt in einem Zustand zwischen einer Bewahrerin und einer normalen Frau«, erläuterte Damon. »Ihre Kanäle wurden auf das Muster einer Bewahrerin fixiert, als sie noch sehr jung, noch unreif war, und sie kann die Kanäle nicht mehr auf normale Weise benutzen.«
    Varzil blickte nachdenklich drein. »Ja, das kann geschehen. Sag mir, wie alt war sie, als man mit ihrer Ausbildung begann?«
    »Zwischen dreizehn und vierzehn, glaube ich.«
    Varzil nickte. »Das dachte ich mir. Der Geist drückt dem Körper seinen Stempel auf, und mit vielen, vielen Jahren als Bewahrerin in ihrem Gehirn kann sie die Kanäle nicht mehr anpassen. Du mußt ihren Verstand zu den Tagen zurückführen, als ihr Körper noch frei war, bevor die Kanäle verändert und verschlossen wurden und die lange Tätigkeit als Bewahrerin die Veränderung ihrer Nervenkanäle dauerhaft machte. Ist ihr Geist einmal frei, wird sich ihr Körper von selbst befreien. Wenn du sie das nächste Mal durch das Sakrament führst – doch warte, bist du sicher, daß die Kanäle nicht chirurgisch verändert und die Nerven nicht durchtrennt worden sind?«
    »Ja. Es muß mittels einer Matrix bei der Konditionierung geschehen sein.«
    Varzil zuckte die Schultern. »Das wäre nicht nötig gewesen, aber ein ernster Schaden ist nicht geschehen. Es gibt immer Frauen, die ihre Kanäle auf diese Weise blockieren lassen, aber am Jahresende-Fest kommt die Befreiung. Einige unserer ersten Bewahrer waren Chieri , weder Mann noch Frau, Emmasca , und auch sie fanden sich auf dies Muster fixiert. Das ist natürlich der Grund, warum wir den alten sakramentalen Ritus des Jahresendes zum festen Brauch gemacht haben. Wie mußt du sie lieben, Cousin, daß du so weit gereist bist! Möge sie dir Kinder gebären, die ihrem Clan ebenso viel Ehre machen wie ihr tapferer Vater.«
    »Sie ist nicht meine Frau«, entgegnete Damon, »sondern mit meinem geschworenen Bruder verheiratet …« Kaum hatte er es ausgesprochen, als er in Verwirrung geriet, denn die Worte schienen für Varzil keine Bedeutung zu haben.
    Varzil schüttelte abwehrend den Kopf. »Du bist ihr Bewahrer; folglich trägst du für sie die Verantwortung.«
    »Nein, sie ist es, die Bewahrerin ist«, widersprach Damon, plötzlich von unverständlicher Furcht befallen. Varzil sah ihn scharf an. Die Überwelt erzitterte, und einen Augenblick lang verschwand Varzil außer Sicht. Sogar das Funkeln seines Rings verblaßte zu einem schwachen, fernen blauen Fleck. War es eine Matrix? Damon war, als ersticke er, ertrinke in der Dunkelheit. Er hörte Varzil von weit weg seinen Namen rufen, und dann fühlte er erleichtert die schwache Berührung von

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