Der verbrannte Garten - Ulysses Moore : Staffel 2 ; 5

standen. Sie enthielten eine seltsame weiße, leimartige Substanz, die wie eingetrocknetes Harz aussah.
    Nestor ritzte sie an und roch daran. Es war Wachs. Aber er hatte auf der Insel doch gar keine Bienen gesehen! Dann fielen ihm Dochte auf, und als er ein paar Truhen beiseitegerückt hatte, fand er eine Kiste voller von Hand gezogener Kerzen.
Er
hatte sich folglich auch Licht beschafft. Aber Leitern, Wachs und Kerzen … Wie konnten sie ihm geholfen haben, die Insel zu verlassen?
    Verwirrt verließ er diese Hütte eines wahnsinnig gewordenen Erfinders. Er wäre gerne die quälende Unruhe losgeworden, die ihn überkommen hatte.
    Â»Er ist fort von hier«, murmelte er leise. Er trat absichtlich auf die Späne, die Reste von Seilen und den Silberschmuck, die im Sand lagen, und schaute dann aufs Meer hinaus.
    Auf den grenzenlosen, unendlich großen Ozean.
    Die Wellen liefen träge auf dem Strand aus. In ungefähr hundert Metern Entfernung vom Ufer ragten Felsklippen aus dem Wasser. Ihre Kanten waren messerscharf. Wenn man kein richtiges Schiff oder wenigstens ein stabiles Boot hatte, bildeten sie eine beinahe unüberwindliche Schranke.
    Könnte es
ihm
tatsächlich gelungen sein, sich mit seinen wenigen Werkzeugen so etwas zu bauen? War es ihm gelungen, das Holz mit Diamanten und alten silbernen Teelöffeln zu sägen?
    Der kleine Flint war inzwischen dabei, seine Goldmünzen zu zählen. Zuvor hatte er sie nach dem aufgeprägten Wert sortiert. Mittendrin schaute er auf, wie von plötzlichen Zweifeln geplagt, und fragte: »Was ist eigentlich aus den Piraten geworden?«
    Â»Viele wurden gefangen«, erwiderte Nestor, ohne den Blick vom Meer zu wenden. »Andere wurden von Schif fen mit Kanonen unter Beschuss genommen. Das waren noch Zeiten, als man auf seine Feinde offen schießen durfte! Aber
er
war ein wahrer Teufel. Und er hatte ein schönes Schiff. Es war stabil und schnell.«
    Â»Ein Schiff?«
    Â»Die
Theben
. So wurde es genannt. Inzwischen gibt es dieses Schiff aber nicht mehr.« Nestor biss sich auf die Unterlippe. »Wir haben es nämlich vor mehr als zwölf Jahren versenkt.«
    Â»Ihr habt es versenkt? Warum denn?«
    Â»Das ist eine lange Geschichte. Aber sagen wir mal so: Das könnte einer der Gründe dafür sein, dass ihr ehemaliger Besitzer schlecht auf mich zu sprechen ist.«
    Damit war die Unterhaltung erst einmal beendet. Nestor schloss die Augen und dachte an damals zurück, als er mit seinen Freunden die sieben Weltmeere befahren hatte.
    Irgendwann unterbrach der kleine Flint ihr Schweigen. Er stand dem Inneren der Insel zugewandt und fragte Nestor: »Ist er erloschen?«
    Â»Wovon sprichst du?«
    Â»Von dem Vulkan da drüben. Ist er erloschen?«
    Nestor erinnerte sich an den Anblick der vom Krater aufsteigenden grauen Rauchfahne. »Nein«, murmelte er. »Er ist nicht erloschen.«
    Â»Man muss ja ganz schön mutig sein, um in der Nähe eines aktiven Vulkans zu leben«, meinte der kleine Flint ehrfürchtig. »Eines Nachts wacht man auf, und dann …«
    In Nestors Augen blitzte etwas auf. »Der Vulkan! Kann es sein, dass …?« Und ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, schlug er den Pfad ein, der zum Vulkan führte.

Kapitel 12
Rauchspuren
    Sie erreichten London am Nachmittag. Hier erwartete sie ein leichter Nieselregen, der erst am Abend nachlassen würde. Nach längerem Hin und Her gelang es Anita, ihrem Vater ein paar Stunden Freiheit abzuringen. Sie würde sie in Begleitung der Gebrüder Schere verbringen, während ihr Vater von zu Hause aus versuchte, mit seiner Frau Kontakt aufzunehmen.
    Als Erstes holten sie das Auto der Schere-Brüder vom Flughafen ab, wo auf die beiden eine astronomisch hohe Parkgebühr wartete. Danach ging es unverzüglich zum Hauptquartier der Brandstifter in der Frognal Lane.
    Anita, die sich auf der Rückbank des Aston Martin zusammengerollt hatte, dachte über mehrere Dinge nach. Sie hatte einen Umschlag aus Oblivia Newtons Handschuhfach dabei, den sie in Morice Moreaus Notizbuch gesteckt hatte. Sie hatte das Buch in den letzten Stunden mehrere Male aufgeschlagen, um nachzusehen, ob darin gerade jemand las. Doch weder Voynich noch Julia und auch nicht Ultima hatten sich über seine Seiten gebeugt.
    Der Aston Martin fuhr langsamer, und Anita erkannte die viktorianische Villa wieder, die sie schon einmal gesehen hatte. Da waren