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Der Verdacht

Der Verdacht

Titel: Der Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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verwundert. Emmenberger habe einmal bei einem chemischen Versuch einen Unfall gehabt.
    Auch an der Leiche in Hamburg habe man diese Narbe gefunden, sagte Bärlach befriedigt. Ob Emmenberger diese Merkmale noch heute besitzt? Es wäre wichtig, das zu wissen – Hungertobel habe ihn flüchtig gesehen.
    Letzten Sommer in Ascona, antwortete der Arzt. Da habe er noch beide Narben gehabt, das sei ihm gleich aufgefallen. Emmenberger sei noch ganz der alte gewesen, habe einige boshafte Bemerkungen gemacht und ihn im übrigen kaum mehr erkannt.
    «So», sagte der Kommissär, «er schien dich kaum mehr zu kennen. Du siehst, die Ähnlichkeit geht so weit, daß man nicht recht weiß, wer wer ist. Wir müssen entweder an einen seltenen und sonderbaren Zufall glauben, oder an einen Kunstgriff. Wahrscheinlich ist die Ähnlichkeit zwischen beiden im Grunde nicht so groß, wie wir jetzt glauben. Was in den amtlichen Papieren und in einem Paß ähnlich scheint, genügt nicht, um die beiden ohne weiteres zu verwechseln; wenn sich die Ähnlichkeit jedoch auch auf so zufällige Dinge erstreckt, ist die Chance größer, daß einer den andern vertreten kann. Der Kunstgriff einer Scheinoperation und eines künstlich herbeigeführten Unfalls hätte dann den Sinn gehabt, die Ähnlichkeit in eine Identität zu verwandeln. Doch können wir in diesem Stand der Untersuchungen nur Vermutungen aussprechen; aber du mußt zugeben, daß diese Art von Ähnlichkeit unsere zweite These wahrscheinlicher macht.»
    Ob es denn kein Bild Nehles außer der Fotografie in dem ‹Life› gebe, fragte Hungertobel.
    «Drei Aufnahmen der hamburgischen Kriminalpolizei», antwortete der Kommissär, entnahm die Bilder den Akten und gab sie seinem Freund hinüber. «Sie zeigen einen Toten.»
    «Da ist nicht mehr viel zu erkennen», meinte Hungertobel nach einiger Zeit enttäuscht. Seine Stimme zitterte. «Eine starke Ähnlichkeit mag vorhanden sein, ja, ich kann mir denken, daß auch Emmenberger im Tode so aussehen müßte. Wie hat sich Nehle denn das Leben genommen?»
    Der Alte sah nachdenklich, fast lauernd zum Arzt hinüber, der recht hilflos in seinem weißen Kittel an seinem Bette saß und alles vergessen hatte, Bärlachs Rausch und die wartenden Patienten. «Mit Blausäure», antwortete der Kommissär endlich. «Wie die meisten Nazis.»
    «In welcher Form?»
    «Er zerbiß eine Kapsel und verschluckte sie.»
    «Bei nüchternem Magen?»
    «Das hat man festgestellt.»
    Dies wirke auf der Stelle, sagte Hungertobel, und auf diesen Bildern scheine es, daß Nehle vor seinem Tode etwas Entsetzliches gesehen habe. Die beiden schwiegen.
    Endlich meinte der Kommissär: «Gehen wir weiter, wenn auch Nehles Tod seine Rätsel haben wird; wir haben noch die andern verdächtigen Punkte zu untersuchen.»
    «Ich verstehe nicht, wie du von weiteren verdächtigen Punkten sprechen kannst», sagte Hungertobel verwundert und bedrückt zugleich. «Das ist doch übertrieben.»
    «O nein», sagte Bärlach. «Da ist einmal dein Studienerlebnis. Ich will es nur kurz berühren. Es hilft mir in der Weise, als es mir einen psychologischen Anhaltspunkt dafür gibt, warum Emmenberger unter Umständen zu den Taten fähig wäre, die wir bei ihm annehmen müssen, wenn er in Stutthof war. Doch ich komme zu einer anderen, wichtigeren Tatsache: ich bin hier im Besitz des Lebenslaufs dessen, den wir unter dem Namen Nehle kennen. Seine Herkunft ist düster. Er wurde 1890 geboren, ist also drei Jahre jünger als Emmenberger. Er ist Berliner. Sein Vater ist unbekannt, seine Mutter ein Dienstmädchen, das den unehelichen Knaben bei den Großeltern ließ, ein unstetes Leben führte, später ins Korrektionshaus kam und dann verschwand. Der Großvater arbeitete bei den Borsigwerken; ebenfalls unehelich, ist er in seiner Jugend aus Bayern nach Berlin gekommen. Die Großmutter ist eine Polin. Nehle besuchte die Volksschule und rückte dann vierzehn ein, war bis fünfzehn Infanterist, wurde dann in die Sanität versetzt, dies auf Antrag eines Sanitätsoffiziers. Hier schien auch ein unwiderstehlicher Trieb zur Medizin erwacht zu sein; er wurde mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet, weil er mit Erfolg Notoperationen durchführte. Nach dem Krieg arbeitete er als Medizingehilfe in verschiedenen Irrenhäusern und Spitälern, bereitete sich in der Freizeit auf die Maturität vor, um Arzt studieren zu können, fiel jedoch zweimal in der Prüfung durch: er versagte in den alten Sprachen und in der Mathematik. Der Mann

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