Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Verdacht

Der Verdacht

Titel: Der Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
Vom Netzwerk:
Palette, Sie waren doch ein ganzer Kerl, und der ‹Apfelschuß›, den Sie herausgeben, war eine gute Zeitung, wenn auch eine kleine; aber jetzt füllen Sie sie mit lauter so gleichgültigem Zeug wie Verkehrspolizei, Trolleybus, Hunden, Briefmarkensammlern, Kugelschreibern, Radio-Programmen, Theaterklatsch, Trambilletten, Kinoreklame, Bundesräten und Jassen.
    Die Energie und das Pathos, mit dem Sie gegen solche Dinge anrennen – es geht bei Ihnen immer gleich zu wie in Schillers Wilhelm Tell –, ist, weiß Gott, einer andern Sache würdig.»
    «Kommissär», krächzte der Besuch, «Kommissär! Versündigen Sie sich nicht an einem Dichter, an einem schreibenden Menschen, der das unendliche Pech hat, in der Schweiz leben zu müssen und, was noch zehnmal schlimmer ist, von der Schweiz leben zu müssen.»
    «Nun, nun», versuchte Bärlach zu begütigen; aber Fortschig wurde immer wilder.
    «Nun, nun», schrie er und sprang vom Stuhl auf, lief zum Fenster und dann wieder zur Türe und so immer fort wie ein Pendel. «Nun, nun, das ist leicht gesagt. Was ist mit dem ‹Nun, nun› entschuldigt? Nichts! Bei Gott, nichts! Zugegeben, ich bin eine lächerliche Figur geworden, beinahe eine solche wie unsere Habakuke, Theobalde, Eustache und Mustache, oder wie sie alle zu heißen vorgeben, die unsere Spalten in den lieben, langweiligen Tageszeitungen mit ihren Abenteuern füllen, die sie mit Kragenknöpfen, Ehefrauen und Rasierklingen zu bestehen haben – unter dem Strich, versteht sich; aber wer ist nicht alles unter den Strich gesunken in diesem Lande, wo man immer noch vom Raunen der Seele dichtet, wenn ringsum die ganze Welt zusammenkracht! Kommissär, Kommissär, was habe ich nicht versucht, um mir ein menschenwürdiges Dasein zu schaffen mit meiner Schreibmaschine, aber nicht einmal zum Einkommen eines mittleren Dorfarmen brachte ich es, ein Unternehmen nach dem andern mußte aufgegeben werden, eine Hoffnung nach der andern, die besten Dramen, die feurigsten Gedichte, die erhabensten Erzählungen! Kartenhäuser, nichts als Kartenhäuser! Die Schweiz schuf mich zu einem Narren, zu einem Spinnbruder, zu einem Don Quijote, der gegen Windmühlen und Schafherden kämpft. Da soll man für die Freiheit und Gerechtigkeit und für jene andern Artikel einstehen, die man auf dem vaterländischen Markt feilbietet, und eine Gesellschaft hochhalten, die einen zwingt, die Existenz eines Schlufis und Bettlers zu führen, wenn man sich dem Geist verschreibt, anstatt den Geschäften. Man will das Leben genießen, aber kein Tausendstel von diesem Genuß abgeben, kein Weggli und kein Räppli, und wie man einmal in einem tausendjährigen Reich den Revolver entsicherte, sobald man das Wort Kultur hörte, so sichert man hierzulande das Portemonnaie.»
    «Fortschig», sagte Bärlach streng, «es ist nur gut, daß Sie mit dem Don Quijote kommen, das ist nämlich ein Lieblingsthema von mir. Don Quijotes sollen wir wohl alle sein, wenn wir nur ein wenig das Herz auf dem rechten Fleck haben und ein Körnchen Verstand unter der Schädeldecke. Aber wir haben nicht gegen Windmühlen zu kämpfen wie der alte schäbige Ritter mit der blechernen Rüstung, mein Freund, es geht heute gegen gefährliche Riesen ins Feld, bald gegen Ungeheuer an Brutalität und Verschlagenheit, bald gegen wahre Riesensaurier, die seit jeher das Hirn eines Spatzen haben: alles Biester, die nicht in den Märchenbüchern stehen oder in unserer Phantasie, sondern in der Wirklichkeit. Das ist nun einmal unsere Aufgabe, daß wir die Unmenschlichkeit in jeder Form und unter allen Umständen bekämpfen. Aber es ist nun eben wichtig, wie wir kämpfen und daß wir auch ein wenig klug dabei vorgehen. Der Kampf gegen das Böse darf nicht ein Spiel mit dem Feuer sein. Doch gerade Sie, Fortschig, spielen mit dem Feuer, weil Sie einen guten Kampf unklug führen, gleich einem Feuerwehrmann, der Öl spritzt statt Wasser. Wenn man die Zeitschrift liest, die Sie herausgeben, dieses armselige Blättchen, meint man gleich, die ganze Schweiz müsse abgeschafft werden. Daß in diesem Lande vieles – und wie vieles! – nicht in Ordnung ist, davon kann ich Ihnen doch ein Lied singen, und ein wenig grau geworden bin ich schließlich auch darüber; aber deswegen gleich alles ins Feuer werfen, als wohne man in Sodom und Gomorra, ist ganz verkehrt und auch nicht recht manierlich. Sie tun beinahe, als ob Sie sich schämten, dieses Land überhaupt noch zu lieben. Das gefällt mir nicht, Fortschig. Man

Weitere Kostenlose Bücher