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Der Verdacht

Der Verdacht

Titel: Der Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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soll sich seiner Liebe nicht schämen, und die Vaterlandsliebe ist immer noch eine gute Liebe, nur muß sie streng und kritisch sein, sonst wird sie eine Affenliebe. So soll man denn wohl hinters Fegen und Scheuern, wenn man am Vaterland Flecken und schmutzige Stellen entdeckt, wie ja sogar auch der Herkules den Stall des Augias ausmistete – diese Arbeit ist mir von seinen zehn die sympathischste –, aber gleich das ganze Haus abreißen ist sinnlos und nicht gescheit; denn es ist schwer, in dieser armen lädierten Welt ein neues Haus zu bauen; da braucht es mehr als eine Generation dazu, und wenn es endlich gebaut ist, wird es auch nicht besser sein als das alte. Wichtig ist, daß die Wahrheit gesagt werden kann und daß man den Kampf für sie führen darf und nicht gleich nach Witzwil kommt. Das ist in der Schweiz möglich, wir sollen das ruhig zugeben und auch dankbar dafür sein, wir haben uns vor keinem Regierungs- oder Bundesrat zu fürchten, oder wie die Räte alle heißen. Freilich, es muß mancher dabei in Lumpen gehen und lebt etwas ungemütlich ins Blaue hinein. Daß dies eine Schweinerei ist, gebe ich zu. Aber ein echter Don Quijote ist stolz auf seine armselige Rüstung. Der Kampf gegen die Dummheit und den Egoismus der Menschen war seit jeher schwer und kostspielig, mit der Armut verbunden, und mit der Demütigung; aber er ist ein heiliger Kampf, der nicht mit Jammern, sondern mit Würde ausgefochten werden muß. Sie jedoch wettern und fluchen unseren guten Bernern die Ohren sturm, was für ein ungerechtes Schicksal Sie unter ihnen erleiden, und wünschen sich den nächsten Kometenschwanz herbei, um unsere alte Stadt in Trümmer zu schlagen. Fortschig, Fortschig, Sie durchsetzen Ihren Kampf mit kleinlichen Motiven. Es muß einer vom Verdacht frei sein, es gehe ihm nur um den Brotkorb, wenn er von der Gerechtigkeit reden will. Kommen Sie wieder los von Ihrem Unglück und Ihren zerschlissenen Hosen, die Sie nun eben tragen müssen, von diesem Kleinkrieg mit nichtigen Dingen; es geht in dieser Welt in Gottes Namen um mehr als um die Verkehrspolizei.»
    Fortschigs dürre Jammergestalt kroch wieder auf den Sessel zurück, zog den langen gelben Hals ein und die Beinchen hoch. Die Baskenmütze fiel unter den Sessel, und das zitronengelbe Halstuch hing dem Männchen wehmütig auf die eingesunkene Brust. «Kommissär», sagte er weinerlich, «Sie sind streng zu mir, wie ein Moses oder Jesaias mit dem Volk Israel, und ich weiß, wie recht Sie haben; doch seit vier Tagen aß ich nichts Warmes, und nicht einmal zum Rauchen habe ich Geld.»
    Ob er denn nicht mehr bei Leibundguts esse, fragte der Alte stirnrunzelnd und plötzlich etwas verlegen.
    «Ich habe mit Frau Direktor Leibundgut einen Streit über Goethes Faust gehabt. Sie ist für den zweiten Teil und ich dagegen. Da hat sie mich nicht mehr eingeladen. Der zweite Teil von Faust sei das Allerheiligste für seine Frau, hat mir der Direktor geschrieben, und er könne leider nichts mehr für mich tun», antwortete der Schriftsteller winselnd.
    Der arme Teufel tat Bärlach leid. Er dachte, daß er doch zu streng mit ihm gewesen sei, und brummte endlich aus lauter Verlegenheit, was denn die Frau eines Schokoladedirektors mit Goethe zu tun habe. «Wen laden die Leibundguts denn jetzt ein?» wollte er schließlich wissen. «Wieder den Tennislehrer?»
    «Bötzinger», antwortete Fortschig kleinlaut.
    «So hat wenigstens der für ein paar Monate jeden dritten Tag was Gutes», meinte der Alte etwas ausgesöhnt. «Guter Musiker. Seine Kompositionen kann man sich allerdings nicht anhören, obgleich ich doch noch von Konstantinopel her an schreckliche Geräusche gewöhnt bin. Aber das ist ein anderes Blatt. Nur, denke ich, wird der Bötzinger mit der Frau Direktor bald über Beethovens Neunte nicht einer Meinung sein. Und dann nimmt sie doch wieder den Tennislehrer. Die sind geistig am besten zu dominieren. Sie, Fortschig, will ich Grollbachs empfehlen von der Kleiderhandlung Grollbach-Kühne; die kochen gut, wenn auch ein wenig fettig. Ich glaube, das könnte besser halten als bei Leibundguts. Grollbach ist unliterarisch und interessiert sich weder für den Faust noch für den Goethe.»
    «Und die Frau?» erkundigte sich Fortschig ängstlich.
    «Stockschwerhörig», beruhigte ihn der Kommissär. «Ein Glücksfall für Sie, Fortschig. Und nehmen Sie die kleine braune Zigarre zu sich, die auf dem Tischchen liegt. Eine ‹Little-Rose›; Dr. Hungertobel hat sie extra

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