Der Verdacht
seinem Bett.
«Sie wissen meinen Namen und sind demnach im Bilde», fuhr Bärlach fort, stutzig geworden, «dann wissen Sie wohl auch, weshalb ich hier bin?»
«Sie wollen unseren Chef verhaften», sagte sie, auf den Alten niederblickend.
«Den Chef», nickte der Kommissär. «Und Sie werden wissen, daß Ihr Chef im Konzentrationslager Stutthof in Deutschland viele Menschen getötet hat?»
«Mein Chef hat sich bekehrt», antwortete die Schwester Kläri Glauber aus Biglen stolz. «Seine Sünden sind ihm vergeben.»
«Wieso?» fragte Bärlach verblüfft, das Ungeheuer an Biederkeit anstarrend, das an seinem Bette stand, die Hände über dem Bauch gefaltet, strahlend und überzeugt.
«Er hat eben meine Broschüre gelesen», sagte die Schwester.
«Den Sinn und den Zweck unseres Lebenswandels?»
«Eben.»
«Das ist doch Unsinn», rief der Kranke ärgerlich, Emmenberger tötet weiter.»
«Vorher tötete er aus Haß, nun aus Liebe», entgegnete die Schwester fröhlich. «Er tötet als Arzt, weil der Mensch im geheimen nach seinem Tod verlangt. Lesen Sie nur meine Broschüre. Der Mensch muß durch den Tod hindurch zu seiner höheren Möglichkeit.»
«Emmenberger ist ein Verbrecher», keuchte der Kommissär, ohnmächtig vor so viel Bigotterie. «Die Emmentaler sind noch immer die verfluchtesten Sektierer gewesen», dachte er verzweifelt.
«Der Sinn und der Zweck unseres Lebenswandels kann kein Verbrechen sein», schüttelte Schwester Kläri mißbilligend den Kopf und räumte ab.
«Ich werde Sie als Mitwisserin der Polizei übergeben», drohte der Kommissär, zur billigsten Waffe greifend, wie er wohl wußte.
«Sie sind auf der Abteilung drei», sagte Schwester Kläri Glauber, traurig über den störrischen Kranken, und ging hinaus.
Ärgerlich griff der Alte zur Post. Das Kuvert kannte er, es war jenes, in welchem Fortschig seinen Apfelschuß zu verschicken pflegte. Er öffnete, und die Zeitung fiel heraus. Sie war wie immer seit fünfundzwanzig Jahren mit einer nun wohl rostigen und klapprigen Schreibmaschine geschrieben, mit mangelhaftem 1 und r. «Der Apfelschuß, schweizerisches Protestblatt für das Inland samt Umgebung, herausgegeben von Ulrich Friedrich Fortschig», war der Titel, dies gedruckt, und darunter, nun mit der Schreibmaschine getippt:
Ein SS-Folterknecht als Chefarzt
W enn ich nicht die Beweise hätte (schrieb Fortschig), diese fürchterlichen, klaren und unwiderlegbaren Beweise, wie sie weder ein Kriminalist noch ein Dichter, sondern allein die Wirklichkeit aufzustellen in der Lage ist, so würde ich genötigt sein, als Ausgeburt einer krankhaften Einbildungskraft zu bezeichnen, was hier die Wahrheit mich zwingt niederzuschreiben. Der Wahrheit; denn das Wort, auch wenn sie uns erblassen läßt, auch wenn sie das Vertrauen, welches wir – immer noch und trotz allem – in die Menschheit setzen, für immer erschüttert. Daß ein Mensch, ein Berner, unter fremdem Namen, in einem Vernichtungslager bei Danzig seinem blutigen Handwerk nachging – ich wage nicht näher zu beschreiben, mit welcher Bestialität –, entsetzt uns, daß er aber in der Schweiz einem Spital vorstehen darf, ist eine Schande, für die wir keine Worte finden, und ein Anzeichen, daß es nun auch bei uns wirklich Matthäi am letzten ist. Diese Worte mögen denn einen Prozeß einleiten, der, obschon schrecklich und für unser Land peinlich, dennoch gewagt werden muß, steht doch unser Ansehen auf dem Spiel, das harmlose Gerücht, wir mausten uns noch so ziemlich redlich durch die düsteren Dschungel dieser Zeit – (zwar manchmal mehr Geld verdienend als gerade üblich mit Uhren, Käse und einigen, nicht sehr ins Gewicht fallenden Waffen). So schreite ich denn zur Tat. Wir verlieren alles, wenn wir die Gerechtigkeit aufs Spiel setzen, mit der sich nicht spielen läßt, auch wenn es uns Pestalozzis beschämen muß, einmal selber auf die Finger zu bekommen. Den Verbrecher jedoch, einen Arzt in Zürich, dem wir keinen Pardon geben, weil er nie einen gab, den wir erpressen, weil er erpreßte, und den wir schließlich morden, weil er unzählige mordete – wir wissen, es ist ein Todesurteil, das wir niederschreiben – (diesen Satz las Bärlach zweimal); jenen Chefarzt einer Privatklinik – um deutlich zu werden – fordern wir auf, sich der Kriminalpolizei Zürich zu stellen. Die Menschheit, die zu allem fähig wird und die in steigendem Maße den Mord wie keine zweite Kunst versteht, diese Menschheit, an der schließlich auch
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