Der Verehrer
abreißt!«
»Danke, daß du da bist«, wisperte Carolin.
Sie hatte ein starkes Beruhigungsmittel bekommen. Ihre Bewegungen waren jetzt mechanisch wie die einer Aufziehpuppe, ihre Sprechweise ein wenig schleppend. Ihre geröteten Augen blieben trocken und hatten einen fiebrigen Glanz.
Tim war gleichzeitig mit einer ganzen Horde von Polizeibeamten im Haus eingetroffen und hatte sich ausweisen sowie eine Reihe mit scharfer Stimme gestellter Fragen beantworten müssen, ehe er eintreten und Carolin in die Arme schließen durfte.
»Was ist denn hier los?« hatte er gefragt, und Carolin, zu diesem Zeitpunkt noch ohne Medikamente, hatte ihm mit sich überschlagender Stimme erzählt, was vorgefallen war. Er hatte Mühe gehabt, ihr zu folgen und die Flut von Informationen in eine gewisse Ordnung zu bringen.
»Ich habe Wolfgang alles erzählt, obwohl wir vereinbart hatten, daß wir nichts sagen, und jetzt hat er es der Polizei gesagt, und am Ende werde ich nie erfahren, wo Felix ist, er wird sterben, Tim, er wird sterben, er wird sterben …«
Niemand wußte, wer den Arzt gerufen hatte. Wahrscheinlich, dachte Tim, hat den die Polizei organisiert. Er gab Carolin eine Spritze, und sie wurde fast augenblicklich ruhiger, beantwortete alle Fragen, die ein freundlicher Polizeibeamter ihr stellte, mit gleichmütiger Stimme. Tim saß die ganze Zeit neben ihr, hielt sie im Arm und hatte das beunruhigende Gefühl, urplötzlich in das Finale eines
Gangsterfilms geraten zu sein, ohne zu wissen, wie das hatte passieren können.
»Ich habe Angst um mein Kind«, sagte Carolin, und der Beamte entgegnete: »Das verstehe ich. Wir leiten sofort eine Großfahndung ein. Wir werden Ihren Sohn finden, das verspreche ich Ihnen.«
»Glauben Sie, daß Sie diesen durchgeknallten Typ stoppen können?« fragte Tim.
Der Beamte nickte. »Der geht uns ins Netz. Wir haben das Autokennzeichen. Er wird nicht mehr weit kommen.«
»Er hat Carolins Schwester«, sagte Tim.
»Das wissen wir. Sie können mir glauben, daß wir mit derartigen Situationen umzugehen gelernt haben. Es wird niemandem etwas geschehen.« Er wandte sich wieder an Carolin. »Möchten Sie sich nicht etwas hinlegen? Sie sehen sehr erschöpft aus.«
Carolin schüttelte den Kopf. »Ich bleibe hier und warte auf Felix.«
»Wir wecken Sie sofort, wenn wir ihn gefunden haben.«
»Ich möchte hier sitzenbleiben.«
»In Ordnung. Kann ich im Augenblick noch etwas für Sie tun?«
Unendlich müde legte sie ihren Kopf an Tims Schulter. »Rufen Sie meine Mutter an«, bat sie. Sie klang jetzt wie ein kleines, verlassenes Mädchen. »Ich will, daß sie herkommt. «
10
»Warum hast du Dolly umgebracht? Das kann ich nicht begreifen. Das ist das einzige, was ich wirklich überhaupt nicht fassen kann. Eine kleine Katze! Sie hat dir vertraut.
Sie hat so viele Abende lang auf deinem Schoß gelegen … Wie konntest du das fertigbringen?«
»Es geschah nur, um dich aufzurütteln. Du hast einen großen Fehler gemacht, Leona, als du mich verlassen hast. Du hättest diesen Fehler nicht erkannt, wenn es keinerlei Sanktionen gegeben hätte. Es war der einzige Weg für uns beide.«
»Aber eine unschuldige Katze … Sie ist so schrecklich gestorben!«
»Irgendwann sterben wir alle.«
»Sie war noch kein Jahr alt.«
»Sei jetzt still!«
»Schon gut.«
»Du sollst still sein!«
»Meine Mutter hieß Ines. Sie hat sich selbst die Kehle durchgeschnitten.«
»Deine letzte Freundin hieß Ines!«
»Sie hieß Anna.«
»Aber du hast gesagt …«
»Ich wollte dir ihren richtigen Namen nicht nennen. Er spielte keine Rolle.«
»Deine Mutter hat sich die Kehle durchgeschnitten ?«
»Mitten im Wohnzimmer. So viel Blut hast du noch nie gesehen. Es schwamm alles im Blut.«
»Aber wie kann man sich selbst …?«
»Man kann es eben. Man kann viel mehr, als du denkst, Leona. Viel mehr!«
»Übrigens – der Mann, den du in meiner Küche fast totgeschlagen hast, war nicht mein Liebhaber!«
»Ich möchte nicht, daß du von ihm sprichst!«
»Weißt du, wer das war? Paul. Mein Schwager. Olivias Mann. Er hat für eine Weile bei mir gewohnt, weil seine Ehe in einer Krise steckte.«
»Ich habe gesagt, ich möchte nicht, daß du von ihm sprichst.«
»Du pflasterst deinen Weg mit Angriffen auf Unschuldige. Ist dir das schon aufgefallen? Erst Dolly, dann Paul. Vorsicht! Du fährst zu schnell! Du bist eben auf der Gegenfahrbahn gewesen, hast du das bemerkt?«
»Hör auf, dummes Zeug zu reden, verdammt noch
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