Der verflixte Bahnhofsbau
dem Dach fehlen mehrere Ziegel, die Wände haben kaum noch Putz, und das große Tor vorne ist morsch und hängt schief in den Angeln. Der Feuerwehrhauptmann hat wirklich recht damit, daß ein neues Spritzenhaus wichtiger wäre als ein Bahnhof.
Jetzt wacht Henner auf. Er setzt sich hin und beginnt an dem trockenen Brot herumzunagen. Seine Suppe hat er schon gegessen. Dann steht er auf und geht mit festen Schritten hin und her. Dabei schüttelt er manchmal die rechte Faust und murmelt etwas vor sich hin. Er dichtet auch. Auf seinem Kopf wackelt die Beule. Die zerrissene Hose schlottert ihm um die Beine.
Er allein weiß, daß er unschuldig im Gefängnis sitzt. Aber wie soll er das beweisen?!
DAS NEUNTE KAPITEL
Es brennt! Zum Himmel steigt der Rauch,
Der Räuber löscht mit Gartenschlauch.
Hurra, hurra! Der große Tag ist da!
Die Kirchturmuhr schlägt drei. Das Fest beginnt. Aus allen Häusern strömen die Leute, Männer, Frauen und Kinder. Schon ist Jochen Krumm mit seinem Leierkasten zu hören. Zwei Jungen schieben einen Handwagen, auf dem Raketen und andere Feuerwerkskörper liegen. Der Pastor geht daneben her und ermahnt sie immer wieder, ja recht vorsichtig zu fahren, damit die Knallerei nicht schon hier beginne.
Der dicke Fidi rollt noch ein Faß auf die Straße, Frau Fidi und der kleine Fidi helfen mit.
Kaufmann Knöter hat auch noch nicht alle Waren auf die Festwiese gebracht. Jetzt schleppt er an einem großen Sack, indem Bonbons sind.
Ein so emsiges und aufgeregtes Leben hat Hasenkrug noch nicht gesehen. Alle Straßen sind voller Gelächter. Bei der Hitze haben die Leute nur leichtes Zeug an. Die Frauen und Mädchen tragen bunte Sommerkleider, die Männer und Jungen nur Hosen und Hemden.. Tatta Knobel hat allerdings seine Extrauniform angezogen. Wie sähe ein Polizist in Hemdsärmeln auch aus! Und selbstverständlich hat der Bürgermeister seinen dunklen Anzug an. Schließlich ist er der wichtigste Mann der Stadt und darf selbst bei einem so heiteren Fest seine Würde nicht vergessen.
Nun sind alle auf dem Sportplatz.
Jochen Krumm, der ein frisches Hemd angezogen und sich ein buntes Tuch um den Hals gebunden hat, spielt soeben das Heimatlied:
,O Hasenkrug, o Hasenkrug,
du hältst mein Herz gefangen.
Wo ich auch war, zu dir bin stets
ich gerne heimgegangen.'
Jetzt können alle sehen, was hier in wenigen Stunden getan wurde. Rund um den Platz sind leere Fässer als Tische aufgestellt, und um sie herum stehen Gartenstühle. Auf den Fässern liegen Bierdeckel. Von Faß zu Faß hängen bunte Girlanden und Fahnen. Mitten auf dem Platz ist ein Rednerpult aufgebaut. Daneben steht Jochen Krumm und orgelt. Es dauert eine geraume Weile, bis sich alle gesetzt haben. Überall ist Lachen und Heiterkeit. Der dicke Fidi wird heute bestimmt zum dünnen Fidi, so muß er rennen, damit die Gläser immer voll sind.
Um Frau Nasenblums Eiswagen drängen sich die Kinder. Auch sie hat alle Hände voll zu tun.
Nun steigt der Bürgermeister auf die Erhöhung hinter dem Pult und hebt die rechte Hand hoch. Die Hasenkrüger unterbrechen nach und nach ihre Gespräche, um dem Stadtoberhaupt zu lauschen.
„Meine lieben Hasenkrüger“, beginnt er, „wenn meine Augen nach rechts schweifen, stoßen sie auf den imposanten Neubau unseres Bahnhofs, der bald vollendet sein und noch lange nach unserem Tode davon künden wird, was für tüchtige, tatbereite und opferwillige Leute in unserem lieben Hasenkrug wohnten, Leute, die das Letzte gaben, damit das gewaltige Bauwerk wachsen konnte.
Der Mann aber“, so fährt er fort, „der uns den schönen Bahnhof neidete und darum Nacht für Nacht die Steine stahl, darbt im Spritzen» haus bei Wasser und Brot. Daran wollen wir denken und das wollen wir feiern, dann schmecken Bier und Kuchen noch mal so gut. Und noch eins, es gibt jemanden in der Stadt, der behauptet, ein Bahnhof sei nicht nötig, ein neues Spritzenhaus sei wichtiger. Dazu kann ich nur sagen, das ist zum Lachen. In Hasenkrug wird es schon nicht brennen, weil es ja noch nie gebrannt hat! Ich eröffne hiermit das Fest und wünsche allen viel Vergnügen!“
Die Hasenkrüger klatschen, stoßen mit den Gläsern zusammen, rufen prost und fangen an zu feiern.
Herr Lubesam veranstaltet Sackhüpfen und Eierlaufen mit den Kindern, Jochen Krumm spielt auf der Orgel, die Erwachsenen tanzen. Man ißt Negerküsse, Eis und Butterkuchen. Es ist wirklich ein wunderschönes Fest. Und wie immer bei solcher Fröhlichkeit,
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