Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der verflixte Bahnhofsbau

Der verflixte Bahnhofsbau

Titel: Der verflixte Bahnhofsbau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schrader
Vom Netzwerk:
unbeirrt, „und für die andern das Essen kochen, die Betten machen und die Schuhe putzen.“
    „Was?“ fragt der Bürgermeister verblüfft. „Essen kochen für Gespenster? Was essen die denn?“
    „Geistige Kost“, sagt Tatta, der über Gespenster anscheinend gut Bescheid weiß.
    „Aha“, sagt der Bürgermeister, „und was ist das?“
    „Das ist, das ist, na, ihr wißt doch wohl, was geistige Kost ist, oder etwa nicht?“ stottert Tatta Knobel.
    Aller Augen wenden sich auf Schlächtermeister Brating wegen seiner zwei Jahre auf dem Gymnasium.
    „Geistige Kost?“ sagt der gedehnt. „Das ist doch ganz einfach. Das sind Lesebücher, Rechentafeln, Zeitungen und so etwas.“
    Tatta nickt.
    „Richtig!“ sagt er zustimmend. „Wenn jedes Gespenst zwei Kilogramm Lesebuch, dreihundert Gramm Rechentafel und ein halbes Pfund Zeitung gegessen hat, ist es für einen ganzen Tag satt.“
    „Mag schon sein“, sagt da der Bürgermeister, „aber das mit dem Schuheputzen ist Unsinn, weil nämlich Gespenster gar keine Füße haben, sondern schweben. Und das mit dem Bettenmachen ist auch...“
    Was mit dem Bettenmachen ist, erfahren die Männer nicht mehr, denn in dieser Sekunde ertönt ein lautes Stöhnen, das ihnen durch Mark und Bein fährt. Gleich darauf bellt der Köter aus vollem Halse. Unter den Männern geht das Zittern um. Nur Jochen Krumm, der das Stöhnen ja nun schon zum zweitenmal hört, zittert nicht mit. Er schöpft einen bestimmten Verdacht. Forsch und kühn, ohne sich um die mahnenden Zurufe Tatta Knobels zu kümmern, geht er auf die unheimliche Gespensterwohnung zu. Wieder dringt das Stöhnen aus der Tiefe des Kellers zu ihm herauf. Mit einem Satz ist er im Flur. Die Männer halten den Atem an, einige machen die Augen zu. Gleich wird der wahnsinnige Orgeldreher gepackt und hinuntergerissen werden! Das kann nicht gutgehen. Schon ist er verschwunden! Der Arme! Aber schließlich ist er ja selber schuld. Warum hat er nicht auf Tatta Knobel gehört! So denken sie. Nanu, was ist das? Da kommt er wohlbehalten aus dem Haus. In seinem Gesicht steht ein breites Grinsen. Er bleibt neben einer kleinen Tanne stehen, so daß alle ihn gut sehen können, sagt zweimal „ähem“ und fängt an zu singen, fängt einfach an zu singen. Mit den Gespenstern im Rücken und Henner Blau irgendwo unter einem Busch versteckt, singt er:
     
Das Haus hat keine Fenster,
das Dach ist auch kaputt.
Hier wohnen die Gespenster
im Keller voller Schutt.
 
Sie essen Rechenbücher
und putzen ihre Schuh
und tragen weiße Tücher
und spuken immerzu.
 
Gehst du im Mondenscheine
um dieses Haus herum,
dann sei nur nicht alleine,
sonst bringen sie dich um!
 
Am Tag, am hellen, schönen,
doch schlafen sie sich aus.
Dann tönt nur mal ein Stöhnen
im Traum zum Dach hinaus.
 
Denn Spuken macht Gespenster
recht müd und lendenlahm.
Im Hause ohne Fenster
sind sie am Tage zahm.
     
    Dafür wird er büßen müssen, denken die Männer. Das läßt sich kein anständiges Gespenst gefallen. Leichtsinnig wie er ist, setzt er auch ihr Leben mit aufs Spiel. Viel Zeit zum Nachdenken bleibt den Männern jedoch nicht, denn schon singt der Straßenmusikant weiter:
     
Nur eines liegt zerschunden
hier zwischen Staub und Schutt,
es blutet aus drei Wunden,
sein Hemd ist ganz kaputt.
 
Und dies Gespenst, das sage
ich hiermit ganz genau,
ist ohne jede Frage
der Räuber Henner Blau.
     
    Die Männer brauchen eine Weile, bis sie begreifen, was Jochen Krumm da gesungen hat. Dann aber besinnen sie sich auf ihren Mut und ihren Zorn und stürmen auf das unheimliche Haus zu.
    Der Bürgermeister sieht den Räuber zuerst, wie er da zwischen Mörtel, Steinen und Balken liegt und zum Gotterbarmen stöhnt. Vorsichtig und immer noch ein bißchen mißtrauisch tritt auch Tatta Knobel herzu, schließlich darf er ja keine Angst zeigen. Und nun sieht auch die kluge Polizei, was nicht mehr zu leugnen ist: Der langgesuchte Räuber liegt im Keller. Neben ihm sitzt und hechelt und wackelt mit dem Schwanz der hervorragende Polizeihund.
    Mit raschem Blick erfaßt Tatta, daß Henner Blau im Augenblick nicht so kann, wie er gern möchte. Das macht ihn mutig, zumal ja auch die Gespenster alle Urlaub zu haben scheinen.
    „Henner Blau“, ruft er mit Amtsstimme, „du bist verhaftet. Stehe auf und folge mir!“
    Das Aufstehen ist Henner Blau ja noch eben möglich, aber mit dem Folgen ist es nichts, denn der Keller ist tief und die hölzerne Treppe längst vermodert. Darum schüttelt er

Weitere Kostenlose Bücher