Der vergessene Mond Band II - Das schwarze Buch (German Edition)
Die Männer, die nun in immer größerer Zahl auf den Platz vor ihrem Palast strömten, waren Waldwächter, daran hatte sie keinen Zweifel. Die Grenzsoldaten und Kundschafter des Königreichs Meronis waren in der ganzen Welt berühmt für ihr einzigartiges Geschick mit dem Langbogen.
„Vecox? Bist du es wirklich? Aber was beim Gesang der Sterne tust du hier?“ Langsam bewegte sich Tertia zu Lingard, der den Neuankömmling aus Meronis nun freudestrahlend umarmte, während sich der Platz weiter mit Waldwächtern füllte. „Prinz Lingard, ich bin sicher, Ihr habt eine Erklärung für die Anwesenheit meronischer Truppen auf unserem Hoheitsgebiet.“ Wie gewohnt hatte sie einen emotionslosen Gesichtsausdruck aufgesetzt, die Maske einer Herrscherin, die keine Schwäche Preis gab. Ihr Tonfall allerdings, scharf und autoritär, ließ keinen Zweifel daran, dass sie eine Antwort erwartete. Umgehend wandte sich der Mann vor Lingard nun ihr zu und vollführte eine perfekte höfische Verneigung, er war offensichtlich ein Mann von Bildung und Adel. „Eure Hoheit, Prinz Lingard trifft keine Schuld. Mein Name ist Vecox, Sternensinger aus Paitai und die Waldwächter sind auf meinen Befehl hier, aber nur um den Prinz zu schützen. Der König steht unterdem Einfluss dunkler Mächte, die seinen Blick getrübt haben. Genau wie mich hat er den Prinz aus unserem Land verbannt, die Waldwächter folgten mir freiwillig ins Exil.“
Für einen Moment herrschte Stille ob der unglaublichen Erzählungen des Mannes, der sich als Vecox vorgestellt hatte, dann durchschlug das erneute Aufhallen der Alarmhörner die Nacht. „Seid Ihr verantwortlich für diesen Alarm?“ Tertia formulierte die Frage einfach und direkt, aber sie hatte wenig Hoffnung, dass der Sternensinger sie bejahen würde. Jede Faser ihrer Haut schien zu knistern und warnend zu schreien, irgendetwas Gewaltiges kam auf sie zu.
„Nein, Hoheit. Wir waren bereits in der Stadt, als der Alarm losging. Eigentlich wollte ich Euch morgen bei Tage zu einer Audienz aufsuchen, aber als im Hafen Kämpfe ausbrachen, kamen wir hierher, so schnell wir konnten.“ Tertia überlegte nur kurz, dann wusste sie was zu tun war. Das Beste aus jeder Situation herauszuholen war oberstes Gebot einer jeden erfolgreichen Herrscherin. Meronis und sein König war weit entfernt, Prinz Lingard und seine Männer aber waren jetzt hier, und sie brauchte dringend jeden Arm, der eine Waffe halten konnte.
„Prinz Lingard, ich gewähre euch Obdach in Keldur, bis Ihr die internen Streitigkeiten mit eurer Familie geregelt habt. Wollt Ihr mir mit euren Männern bei der Verteidigung Phrygias zur Seite stehen?“ Das schlecht versteckte Grinsen des Prinzen zeigte ihr, dass er ihre diplomatischen Winkelzüge wohl erkannte, für einen Moment schien er seine Optionen zu durchdenken, dann verneigte er sich immer noch leicht grinsend vor ihr. „Dankend nehme ich Euer Angebot für mich und meine Männer an. Selbstverständlich werden wir Euchhelfen, unser Exil gegen jeden Feind von außen zu verteidigen.“
Zufrieden nickte Tertia dem Prinzen zu, während sich auch ihre Leibwache entspannte. Ihr kleines Heer hatte sich inzwischen weiter vergrößert, neben ihrer Leibwache, um die hundert bewaffneten Angehörigen ihrer Familie und den etwa zweihundert Waldwächtern des Prinzen hatten auch einige Truppen der Stadtgarde den Weg zu ihr gefunden. Einer der Offiziere, dessen blutüberströmte Rüstung zeigte, dass er bereits in Kampfhandlungen verwickelt war, trat aufgeregt vor sie und vollführte eine hastige, aber respektvolle Verbeugung.
„Herrin, wir werden von Monstern angegriffen. Sie haben bereits das Haupttor durchbrochen, die Dämonen kommen über uns.“ Unter normalen Umständen hätte Tertia den hysterisch sprechenden Soldaten für seine Märchengeschichte auspeitschen lassen, doch es war nichts normal in dieser Nacht. Eine schreckliche Ahnung ergriff Besitz von ihr, doch noch bevor sie es aussprechen konnte, ergriff Prinz Lingard das Wort. „Die dunkle Garde. Aber wenn sie die Stadt angreifen, dann nur weil auch das schwarze Buch hier ist.“ Die Worte Lingards bestätigten Tertias schlimmste Befürchtungen. Die Zeit des Erwachens war gekommen, und mit ihr auch die dunkle Garde.
„Aber wir haben das Buch nicht. Die Garde wird alles Leben in Phrygia auslöschen.“ Für einen Moment machte sich Hoffnungslosigkeit in ihr breit. So viele Jahre hatte sie geschwiegen und auf den Umbruch der Zeiten gewartet. Sie
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