Der vergessene Turm: Roman (German Edition)
Allerdings sagt das Buch lorc’hennië cromairénaë nur wenig darüber aus. Ganz so, als ob die damaligen Leser, an die sich das Buch richtete, diesen Grund ohnehin kannten und er keiner besonderen Erwähnung bedurfte.«
»Womit Ihr noch nicht offenbart habt, worin dieser Grund bestand – Herr Außenländer.«
Der Vahogathmáhir hob die Hand. »Danke, Gesslo. Ich denke, das reicht. Lass Herrn Circendil nach seiner Weise berichten. Er wird uns sicher alles zu gegebener Zeit …«
»Wann ist denn die Zeit gegeben, wenn nicht jetzt?« Der Gauvogt breitete die Arme aus und blickte sich fragend im Geviert um. Er erntete seinerseits fragende Blicke und verhaltene Zustimmung. Getuschel an allen vier Tischreihen mischte sich mit dem Nicken einiger sich zurücklehnender Vahits, die die Arme vor der Brust verschränkten und die Stirnen runzelten. Aller Augen richteten sich auf den Davenamedhir, der an Gesslos Tisch herantrat.
»Ganz wie Ihr wünscht, Herr Gauvogt. Nach meiner Lesart verweigerten die Féar Lukathers Wunsch, weil er ihnen fremd war. Sie misstrauten ihm, und was er sagte, klang ebenso seltsam in ihren Ohren wie seine Stimme, die ihre schöne Sprache höchst eigenartig betonte.«
»Ah, eigenartig«, wiederholte Gesslo und meinte es gänzlich anders. »Sieh an.« Er wechselte einen bedeutsamen Blick mit Wredian. »Ihr erklärt also – und wolltet es uns zunächst verschweigen, wie hier festgehalten werden sollte –, die Féar waren vorsichtig einem Fremden gegenüber?« Er wartete eine Antwort gar nicht erst ab, sondern wandte sich an die versammelten Vahits. »Unsere Märchen nennen die Feen in allen Geschichten klug und weise, wie ihr alle euch erinnern werdet. Wir haben sogar ein Sprichwort, das da lautet: ›Feen fragen immer zweimal nach.‹ Es ist ein gutes Sprichwort und hilfreich in vielerlei Weise. Als Gauvogt und bestallter Landhüter ist es meine Aufgabe, das Land vor jedwedem Unheil zu behüten. Besser zweimal nachzufragen als einmal zu wenig erscheint einem da höchst dienlich zu sein. Da will es mir als ebenso klug erscheinen, ja klug und weise, wie ich gern zugeben will, Fremden gegenüber vorsichtig zu sein. Besonders«, er drehte sich zu Circendil zurück und verneigte sich spöttisch, »wenn sie anders aussehen als wir, wenn sie von seltsamen Dingen reden und wenn sie unsere schöne Sprache – wie sagtet Ihr? – höchst eigenartig betonen. Ich für mein Teil verstehe die Feen hierin vollauf, Herr Außenländer. Und ich begreife durchaus, weshalb Ihr uns den Grund ihrer Weigerung verschweigen wolltet.« Damit setzte er sich in ein allgemeines Murmeln hinein. Allein Bholobhorg reichte seinem Gauvogt die Hand und schüttelte sie überschwänglich.
Circendil nickte mehrmals, ehe er fortfuhr. »Ja«, sagte er ebenso bedächtig wie bitter. »So haben Misstrauen und Furcht vor dem Unbekannten schon einmal dazu geführt, dass ein Friede gebrochen ward. Letzten Endes hat jene Weigerung in der Vergangenheit dazu geführt, dass wir uns heute hier zusammengefunden haben. Freiwillig? Ja. Der Not gehorchend? Abermals ja. Aber sicher nicht dazu, einander Sprichwörter aufzusagen. Die Folgen der damaligen Verachtung waren Zerwürfnis, Krieg, unendliches Leid und namenlose Angst in unzähligen Geschöpfen, Herr Gauvogt. Wollt Ihr es ebenso halten? Weil ich in Euren Ohren seltsam rede? Weil Euch die Betonung meiner Worte nicht gefällt? Wollt Ihr das und mein fremdartiges Aussehen zum Anlass nehmen, das, was ich zu sagen habe, mit galligem Spott zu überschütten? Wollt Ihr den Fehler von einst wiederholen? Wollt Ihr Euch allen Ernstes erdreisten, dieses dann auch noch klug und weise zu heißen? Bei Aman, wollt Ihr das?«
Circendil fasste sich an die Stirn und strich eine Strähne seines Haares zurück, die ihm bei seinem Kopfschütteln ins Gesicht gefallen war. »Nein, Herr Gesslo«, fuhr er fort, »für so beschränkt halte ich Euch nicht. Euch nicht und niemanden hier. – Verzeiht mir meine vielen Worte, aber ich bin gebeten worden, mich zuerklären. Doch lasst uns nun zu Lukather und seiner Wut zurückkehren, wenn ihr gestattet.« Der Mönch holte tief Atem. »Ich sagte es vorhin schon: Lukather war nach der Weigerung fortan gezwungen, sein Dasein weiterhin in Kringerdes Weiten zu verbringen. Seine Wut hierüber überstieg alles, was die Féar verstehen konnten. Dafür hasste er auch sie. Er schwor ihnen grausame Rache, als er sie verließ.
Doch wohin ging er, und von wo
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