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Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Titel: Der vergessene Turm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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Föhren.
    »Dort vorn muss der Ausgang sein«, meinte Mellow sichtlich erleichtert. »Und nicht eine Ratte hat uns belästigt.«
    »Mir sind Ratten tausendmal lieber als Gidrogs«, murmelte Finn.
    »Warte, bis es tausend sind, dann wünschst du dir einen Gidrog.«
    »Mag sein«, lächelte Finn. »Ich für mein Teil bin froh, weder die einen noch die anderen zu sehen. Wie weit sind wir wohl gegangen?«
    »In Höhlen oder Tunneln verschätzt man sich leicht«, antwortete Mellow. »Es wird nicht mehr als eine Viertelmeile gewesen sein,obwohl es mir länger erscheinen will. Aber ich höre Wasser rauschen   – du auch? Was mag das sein?«
    Ein halbes hundert Schritte weiter wussten sie, was es war.
    Sie gingen langsam und vorsichtig, denn in der um vieles größeren Höhle verlor sich der Schimmer des glimmenden Stricks wie Mondlicht hinter zu dichten Wolken. Sie konnten kaum noch etwas erkennen, und sie spürten mehr, als es zu sehen, dass sie sich einem Schatten näherten.
    Er lag quer zu ihrem bisherigen Weg: ein Stück tieferer Schwärze in der Dunkelheit. Kühle Luft kam ihnen von unten entgegen. Das Rauschen wurde lauter. Mellow betastete den Boden mit der Stiefelspitze, ehe er einen weiteren Schritt zu setzen wagte. Dann kniete er gar nieder und beleuchtete mit dem letzten kokelnden Rest seines Stricks etwas, das vor ihm lag. Oder vielmehr etwas, was nicht vor ihm lag, denn er kniete am Rand eines bodenlosen Spalts, eines senkrecht abfallenden Schlundes, der wenigstens sechs Klafter breit war und die Höhle in ihrer gesamten Breite durchlief.
    »Finn, wir haben eine neue Sorge«, sagte Mellow, als er sich aufrichtete. »Und eine höchst vertrackte obendrein. Hier ist kein Durchkommen, es sei denn, du hast zufällig eine zusammenklappbare Brücke in deiner Tasche. Ich fürchte, ich habe uns in eine Sackgasse geführt.«
    Noch ehe Finn antworten konnte, geschahen zwei Dinge gleichzeitig. Der letzte Faden des Stricks flammte auf, krümmte sich und verlosch; schlagartig umfing sie tiefste Finsternis. Und als hätte sie nur darauf gewartet, wachte Gatabaid auf und begann jämmerlich zu weinen.
    Leise und so ruhig wie nur irgend möglich sprachen Finn und Mellow auf das kleine Mädchen ein. Und in ihr Schluchzen hinein sagten sie ihr immer wieder, wer sie seien und dass sie gekommen seien, um sie zu retten. Finn streichelte ihr Haar; doch er hütete sich, ihrer Wange und dem verletzten Ohr zu nahe zu kommen.
    »Warum ist es so dunkel?«, wollte sie nach einiger Zeit wissen;und sie sagten ihr, dass sie in einer Höhle seien, in der sie die Nacht verbringen würden, in Sicherheit vor ihren Feinden. Sobald es hell würde, versprachen sie, brächten sie Gatabaid zu ihren Eltern nach Rudenforst zurück. Etwas an Mellows Obergauer Redeweise schien ihr vertraut zu sein; und als er von Rorig, seinem Vater, und von Dhela, seiner Mutter, erzählte und von seinen Brüdern und dem Wirtshaus, da erinnerte sich Gatabaid an ihn und hörte zu weinen auf.
    Von ihrer Gefangenschaft wollte sie nicht reden, und sie drängten sie wohlweislich nicht. Hunger habe sie und schrecklichen Durst, sagte sie, einen ganz und gar schrecklichen Durst; aber alles, was sie an Wasser hatten, war die Nässe, die noch in Finns Kleidern steckte. Was umso ärgerlicher war, als sie unentwegt das gleichmäßige Rauschen von Wasser hören konnten. Sie wrangen seine Weste aus und sein Hemd, und ein wenig tropfte noch daraus in ihre ineinandergelegten Hände, doch es war nicht genug, um mehr zu sein als ein flüchtiges Nippen und Benetzen der Lippen.
    Sie beschlossen, abwechselnd zu schlafen, jedenfalls Finn und Mellow; und sie zogen sich sicherheitshalber ein Stück von der gefährlichen Spalte zurück. Finn und Gatabaid wickelten sich in Mellows warmen Mantel, während der junge Hüter sich auf einen Stein hockte und in die Finsternis horchte. Immer noch nahmen sie den würzigen Tannenduft wahr und spürten die Frische, die in die Höhle wehte; manchmal meinten sie sogar, über dem Wasserrauschen aus der Tiefe fallenden Regen zu hören und Wind, der in den Wipfeln unsichtbarer Bäume zauste. Sie hofften, mit dem Tagesanbruch würde genug Licht durch einen nahen Eingang fallen, damit sie mehr erkennen könnten und vielleicht doch einen Weg ins Freie hinaus fänden.

9 . KAPITEL
    Verstand und Haltbarkeit
    F INN ERWACHTE, WEIL G ATABAID sich im Schlaf bewegte. Dämmriges Licht, grau und dunstig, verdrängte die Schatten in der Höhle. Es war kühl, und er

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