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Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Titel: Der vergessene Turm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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mich, und ich sage mir: Wenn sie eine Brücke hätten haben wollen, dann hätten sie eine gebaut, oder? Aus Turmstein, der ewig hält. Es wäre ein Leichtes für sie gewesen, denn Brücken bauen konnten sie so gut, wie sie Häuser oder Türme errichteten. Wir haben ein paar davon im Hüggelland, wenn ich dich erinnern darf.«
    Gatabaid kehrte, die Hände voller gefundener Steine, aus dem rückwärtigen Teil der Höhle zurück. Sie setzte sich zu ihnen hin. »Ich habe immer noch Durst«, sagte sie. »Und mein Arm tut ganz doll weh. Ich will nach Hause.«
    »Wir auch, Gatabaid«, sagte Mellow lächelnd. »Und ich verspreche dir, wir sind bald unterwegs. Aber bevor wir losgehen, müssen Finn und ich ein Rätsel lösen, weißt du? Wir müssen herausfinden, wie wir sicher über den Abgrund dort gelangen. Du kannst nicht zufällig fliegen?«
    »Nein«, antwortete Gatabaid mit kindlichem Ernst.
    »Wir auch nicht, und dein Vater Gandh sicher auch nicht. Deshalb müssen Finn und ich nach einer Möglichkeit suchen. Komm, schau es dir einmal an.« Er nahm das Mädchen bei der Hand und ging mit ihr an den Felsenrand.
    »Wir brauchen eine Brücke«, stellte sie fest. »Aber hier ist keine.«
    »Das stimmt. Und genau darüber denken Finn und ich nach.«
    »Vielleicht«, sagte sie und legte ihr Gesicht in nachdenkliche Falten, »vielleicht ist hier doch eine. Eine Brücke, meine ich.«
    Mellow ging in die Hocke und sah sie aufmerksam an.
    »Wie meinst du das, Gatabaid?«
    Sie knabberte an ihrer Unterlippe, und Finn bemerkte, dass sie ihn nachahmte. »Na, wenn keine sichtbare Brücke da ist, dann ist vielleicht eine unsichtbare da? So wie im Märchen von Acalhate , meine ich.«
    Mellow stutzte, nickte dann und lächelte.
    Die Erzählung von Acalhate war ein weit unter den Vahits verbreitetes Kindermärchen, in dem eine Tochter ihre Eltern verliert und sich ins Land des Wünschens verirrt, aus dem sie kaum wieder herausfindet. Es war eine allseits beliebte Gutenachtgeschichte, bei der es sich richtig schön gruseln ließ.
    Er führte das Mädchen zu Finn zurück, und sie setzten sich wieder. »Das war sehr, sehr klug von dir, Gatabaid. Ich glaube, du hast Finn und mir sehr geholfen.«
    »Wirklich?«, staunte sie und begann mit ein paar kleinen Steinen ein Muster ins Moos zu legen.
    »Aber ja. Wir werden es wie Acalhate machen. Weißt du noch, was sie tat, als sie noch nicht wusste, was sie sich zuerst wünschen sollte?«
    Gatabaid legte die Stirn in Falten. Dann hellte sich ihr Gesicht auf, und sie rief: »Aber ja! Sie wünschte sich zu wissen, was sie sich wünschen sollte.«
    »Richtig. Und genauso werden wir es auch halten. Wir werden uns gemeinsam wünschen zu wissen, wo die unsichtbare Brücke ist. Hilfst du uns dabei?«
    »Mit Daumendrücken?«, fragte sie im ernstesten Tonfall.
    »Das ist gut«, antwortete Mellow, »damit fangen wir an. Damit und mit ganz viel Hoffnung im Herzen. Du wirst sehen: Am Ende haben wir unsere eigene Gutenacht-Geschichte.«
    »Aber es ist doch längst morgens«, wandte sie zweifelnd ein.
    »Und wieder hast du Recht, Gatabaid. Da siehst du, wie sehr du uns bei den wichtigen Dingen hilfst. Also: Wir machen uns stattdessen unsere eigene Gutenmorgengeschichte. Was hältst du davon?«
    »Oh ja.« Gatabaid gluckste beinahe vor Vergnügen. Eine Gutenmorgen-Geschichte war etwas ganz Besonderes. Davon hatte sie noch nie zuvor gehört. Finn im Übrigen auch nicht; er fragte sich, woher Mellow seine unerschöpfliche Zuversicht nahm.
    »Das wäre doch gelacht, wenn dieser Morgen damit nicht gut enden würde, was?« Mellow strich dem Mädchen über die Haare, lächelte ihr aufmunternd zu und richtete sich auf. Gatabaid begann zu summen und setzte eine gewichtige Miene auf. Sie stellte ein paar faustgroße Steine im Halbkreis um sich auf und begann, ihnen mit halblauter Stimme eine Gutenmorgengeschichte zu erzählen.
    Mellow rieb sein Kinn und atmete tief ein.
    »Eine unsichtbare Brücke«, murmelte er und sah Finn bedeutsam an. »Das passt weitaus besser zum Verstand der alten Baumeister. Besser, als hilflos hier am Rand zu stehen, meine ich. Dieser Spalt, Finn, war kein Hindernis für die Menschen Benutcaers. Nicht für sie. Und er sollte niemanden in der Höhle halten, sondern verhindern, dass wer von außen in sie hineingelangt.«
    Mellow stand auf und deutete zum Höhleneingang hinüber.
    »Nehmen wir nur die wilden Tiere: Wölfe, Füchse, Bären, Schlangen   – sie würden sich über eine Höhle wie diese

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