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Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Titel: Der vergessene Turm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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ihrer Verletzungen und der vorangegangenen Ängste und Strapazen nicht beklagte. Vielleicht, dachte Finn, kam sie sich an diesem Morgen immer mehr vor wie Acalhate im Märchen: Zuerst erwachte sie in einer fremden Höhle, dann begegnete ihr in der Frühe eine wundersame Brücke,die aus einem Stein herauswuchs, und nicht einmal eine Stunde später folgte sie einem Menschen durch den Wald, der ihr so groß und ungestüm wie ein Wrisilrhiob erscheinen musste, wie er da mit langen Schritten zwischen Farnen und Baumstämmen einherging. Der Saum seines Umhangs streifte über Sträucher und über aus dem Hang wuchernde Wurzeln. Sie trottete brav hinter ihm her, schaute mit großen, staunenden Augen immer wieder zu ihm auf, und ihre kleinen Füße trippelten aufgeregt über den mit Nadeln übersäten Waldboden.
    Während sie noch ein kurzes Stück nach Osten gingen, wurde das Gelände zum Ufer hin flacher. Am Himmel eilten Wolken vor einem beständigen Wind nach Westen, darunter rauschten die sich wiegenden Kiefern. Ein kleiner Wasserlauf kreuzte nach kurzer Zeit ihren Weg. Er eilte in einem felsigen Einschnitt herab und gurgelte zur Rechten in mehreren Stufen dem Wirrelbach entgegen. Sie sprangen darüber hinweg und drangen hinter Circendils breitem Rücken in eine dichte Ansammlung von Sadesträuchern ein, hinter denen sich eine windgeschützte Lichtung öffnete.
    Unter moosigen Steinen plätscherte auch hier klares Wasser hervor und floss rasch zu Tal. Doch daneben war der Waldgrund eben und trocken; und auf das weiche Gras blinzelte eine halbherzige Vormittagssonne. Salbeigamander wuchs in hohen Stauden über den Steinen. Frauenmantel und Stendelwurz streckten ihre Wurzeln ins feuchte Ufer. Violettes Leinkraut nickte ihnen zu, als sie sich setzten. Der Davenamönch öffnete seinen Rucksack und kramte darin herum. »Ihr reist ohne Gepäck, wie ich sehe«, sagte er, als er ihre verwunderten Blicke bemerkte.
    Aus irgendwelchen Tiefen holte er einen grünen Apfel hervor und reichte ihn Gatabaid. »Mädchen in deinem Alter haben für gewöhnlich immer Hunger. Jedenfalls gilt das für die Mädchen in Vindland. Magst du einen?«, fragte er und lächelte.
    Gatabaid griff zögernd danach; aber als Finn aufmunternd nickte, nahm sie ihn an. »Oh, der ischd awer schüß«, sagte sie begeistert und mit vollem Mund, ehe ihr einfiel, was die Höflichkeiterforderte. »Fielen Fank«, sprudelte sie hinterher, noch bevor der erste Bissen verschwunden war. Saft lief ihr von den Lippen aufs Kinn. Circendil lachte. »Nichts zu danken. Lass es dir schmecken, junge Dame. Hier sind noch mehr«, sagte er und verteilte zwei weitere Äpfel an Finn und Mellow.
    Eine Weile hörte man nur das Schmausen der Vahits.
    Finn bemerkte erst jetzt, welch großen Hunger er tatsächlich verspürte. Er rechnete nach und kratzte sich am Kopf: War es wirklich erst gestern Morgen gewesen, dass sie in der Krummen Kiefer an Dhelas reich gedecktem Tisch gefrühstückt hatten? Ihm schienen Wochen seitdem vergangen zu sein. Selten hatte er einen Apfel mit größerem Genuss gegessen, und die leuchtenden Gesichter der beiden anderen Vahits spiegelten sein eigenes.
    »Fürs Erste genügt es, hoffe ich«, sagte Circendil. »Nun will ich mir deinen Arm ansehen, wenn ich darf. Verrätst du mir deinen Namen, junge Dame?«
    »Ich heiße Gatabaid«, antwortete das Mädchen.
    »Ein seltsamer Name«, sagte der Davenamönch. »Zumindest für meine vindländischen Ohren. Bei uns heißen Mädchen anders: Lida, Tamja oder Balia. Aber Circendil klingt wohl auch für dich ziemlich sonderbar, was?«
    Sie nickte. »Ich sehe«, fuhr er fort, »dir ist allerhand widerfahren in letzter Zeit. Aber wenn Aman will, ist es jetzt vorbei. Tut dir dein Arm sehr weh?«
    Gatabaid bejahte.
    »Darf ich ihn trotzdem berühren?«
    Sie nickte zaghaft   – nicht begeistert, aber tapfer.
    Circendil war so sanft wie nur möglich. Dennoch zuckte Gatabaid mehrmals zusammen, als er die Wundränder abtastete. Der Mensch nahm ein Tuch aus seinem Rucksack, wusch und tränkte es am Quell, ehe er es ihr um die dunkelrote Stelle legte.
    »Eigentlich bräuchten wir warmes Wasser«, sagte er. »Aber ein Feuer anzuzünden, wage ich nicht, solange jene, die das anrichteten, noch in der Nähe sind. Ich sorge mich um ihre Augen undmehr noch ihre Nasen. Der Wind weht in die Richtung, aus der ihr kamt. Sie würden den Rauch bemerken. Wer hat Euch das angetan?«
    »Ein Mensch wie Ihr, Herr Circendil«, sagte Mellow. »Na

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