Der vergessene Turm: Roman (German Edition)
Die Tür war nicht mehr. Aus ihrer Öffnung quoll dunkler Qualm, und heraus drangen Fauchen und Saugen, ein Rauschen und Glosen, als ob sich der Broch in einen Brodem aus kochendem Stein verwandeln wolle.
Es knackte und zischte, knisterte, brach und bröckelte im Mauerwerk. Eine solche Gluthitze ging von der runden Außenwand aus, dass es ihnen schier den Atem verschlug, kaum dass sie in den Lichtschein geritten waren.
Über allem hing der Geruch des Rauches und ein beißender Gestank von verkohltem Fisch. Dichter, weißlicher Qualm drang aus Ritzen hervor, der die Luft klebrig machte.
Die Ponys scheuten und wieherten ängstlich. Sie wichen zurück, zur Seite, nur fort von der blendenden Helligkeit. Links, noch vor dem Turm, führte eine schmale Holzbrücke die Uferböschung hinab und über die Mürmel, kaum zwanzig Klafter von den rasenden Flammen entfernt. Dort sammelte sich jetzt der schwerere Rauch und trieb wie Nebel auf den Fluss hinaus. Rechtsseitig der Straße weitete sich das Gelände hinter einigen seltsam schrägen Holzgestellen und leeren Fässern zu jener Wiese, von der Finn – wann war das gewesen? Gestern, vorgestern? Nein, vor drei Tagen,am Dienstag – wegen ihres abscheulichen Gerbergeruchs Reißaus genommen hatte. Manchmal weideten Schafe hier; und weiter vorn spannte Bolath seine gewaschenen Häute zum Trocknen und Ausdünsten auf. Die Ponys liefen dort hinüber, brachen zwischen den Gestängen hinein in die schützende Dunkelheit, und weder Zügel noch gute Worte brachten sie davon ab. Mühsam verlangsamten die nächtlichen Reiter ihren Schritt und hielten endlich abseits eines Weges, der kaum mehr als ein Pfad war, der sich im Dunkeln verlor.
»Wer dort drinnen war, lebt nicht mehr«, keuchte Mellow und drehte sich um. In seinem Gesicht fing sich das Flackern der himmelwärts schießenden Flammen, und in seinen Augen funkelte es rot.
»Hinein würde ich auch nicht mehr wollen«, sagte Finn.
»Wozu auch?«, fragte Mellow. »Da ist nichts mehr zu retten.«
»Nur warum brennt dieser Turm?«, fragte Circendil.
»Broch«, verbesserte Mellow dumpf. »Es heißt Broch, und es ist Kreko Reihers Broch. Er räuchert Fische und verkauft sie auf dem Markt. Er hat eine Frau und zwei Töchter. Aber wo sind sie?«
»Und wo sind die Gidrogs, von denen Gandh erzählte?« Finn blickte sich hastig um. Obwohl der Broch weithin leuchtete, befand sich alles außerhalb dieses Lichtkreises in tiefem Schatten. Dort, wo sie für den Moment hielten, zweigte die schmale Straße zur Gerberey ab, die an ihrem unteren südlichen Ende hinter dichtem Buschwerk und einigen Bäumen lag. Beide Gewerbe, Bolaths Lohgerberbroch und Krekos Fischräucherey, lagen aus gutem Grund ganz am Rande von Mechellinde – sie stanken. Ihre Nachbarschaft war nicht unbedingt die Gesuchteste.
»Wartet hier«, sagte Circendil.
Er sprang von Gwaeth herunter und eilte in die Dunkelheit der Wiese hinein, auf den Dorfzaun zu, der mit seiner darumwuchernden Hecke irgendwo dahinter verlief. Ein ineinander verflochtenes Dornengestrüpp, das sich schützend um ganz Mechellinde zog. Jetzt aber war es nicht mehr als eine Ahnung aus verschwommenenSchatten. Schon nach wenigen Augenblicken war der Davenamedhir aus dem Lichtkreis verschwunden. Gwaeth wollte ihm nach, aber Mellow schnappte sich seine Zügel.
»Riechst du sie auch?«, fragte Mellow, und Finn wusste, was er meinte. Der eigentümliche Geruch der Criargs stieg ihnen in die Nase, als ein Wind durch die Gräser strich und die Halme zum Rascheln brachte. Hinter ihnen prasselten die Flammen lauter, als der Windstoß den Broch erreichte.
»Ja. Da ist …« Finn drehte sich im Sattel nach beiden Seiten und sog die Luft ein; doch schon mit dem nächsten Atemzug schien es ihm, als ob alles nur noch nach Ruß schmeckte, und er sagte sich, dass ihnen die eigene Erinnerung einen Streich gespielt hatte. Er schüttelte sich und stieß den angehaltenen Atem aus. Auch Mellow verlor die Witterung, wie er es nannte. »Seltsam. Ich hätte schwören können …«
Finns Angst legte sich etwas, wie sie nun tatenlos auf der Wiese warteten und ins undurchdringliche Dunkel starrten.
Sie lauschten; angestrengt, aber vergeblich. Das Prasseln und Knacken in ihrem Rücken verschluckte alle übrigen Geräusche. Gwaeth schnaubte und zuckte unentwegt mit den Ohren. Sein Schweif flog auf und nieder. Vanku und Smod stampften mit den Hufen. Keines der Ponys dachte daran, auch nur einen Bissen von dem saftigen
Weitere Kostenlose Bücher