Der vergessene Turm: Roman (German Edition)
sah den Gildendiener fragend an, worauf dieser nickte. »Tuom wird Euch helfen.«
Circendil nahm seinen Mantel vom Boden auf und legte ihn sich um. Auch er schob seinen Rucksack unter den Tisch zu den anderen. Er warf Finn und Mellow einen fragenden Blick zu. »Seid ihr bereit?«
Die beiden Vahits schlossen die Fibeln ihrer Mäntel und prüften den Sitz ihrer Wacalas. »Wir können«, meinte Mellow.
»Wer immer nach uns sucht«, sagte Finn zu Tallia, die ihn mit großen Augen ansah. »Wir reiten zur Seebrücke hinaus. Dort wird man uns finden.«
»Tot oder lebendig«, murmelte Mellow.
»Pass auf dich auf«, sagte Tallia; sie sah ihn an dabei, und ihre Augen wurden noch größer. Es schien ihm, als blicke sie dabei mitten ins Herz. Schnell verbesserte sie sich: »Passt auf euch auf, meine ich. Viel Glück.«
»Das«, sagte Circendil, »werden wir brauchen, noch ehe die Nacht vorüber ist.«
Im Torweg wartete Geng, die Ponys an den Zügeln haltend. Er öffnete das Tor. Sie stiegen auf und ritten über einen verwandelten Marktplatz, der vor emsig hin und her eilenden Vahits nur so brummte. Noch immer rief die Glocke ihr Dung! Dongelang! in die Nacht hinaus.
Wredian stand auf einem Fass am Brunnen, schwenkte eine Laterne und gab mit lauter Stimme Befehle. Längst brannten alle Straßenlampen, doch ihr Licht war trübe und reichte nicht weit. Vahits trugen Fackeln und Behelfslampen herbei und entzündeten sie. Die Straßenposten wurden bezogen. Finn sah Frauen mit Eimern zum Brunnen laufen, wo sie gefüllt und zu einem Trupp Vahits gebracht wurden, den Uranam, der Herold, befehligte; offenbar war der Sverunmáhir vorübergehend zum Feuerwehrhauptmann ernannt worden. Decken und Tücher wurden dort verteilt und in den Trögen genässt, falls mit ihnen auf Flammen eingeschlagen werden musste.
Andere rollten Wagen herbei. Sie wurden unter lauten Rufen ineinander verkeilt; die Brücke über die Mürmel war schnell ein einziger Verhau, den in den Boden gerammte Fackeln erleuchteten. Eine Barrikade zur Korbmacherstraße war erst im Entstehen; eine andere, zwei Häuser nach dem Landhüterhaus, war nahezu fertig und besaß nur noch eine winzige Lücke, durch die sie sich mit den Ponys drängten. Als sie am Landhüterhaus vorüberritten, sahen sie Bholobhorg Feldschwirl die Glocke läuten. Er führte einen seltsamen Tanz auf, während er an einem Seil auf- und niedersprang. Gesslo war nirgends zu erblicken, doch die rot-gelbe Fahne wehte im Wind, und drinnen brannte hinter den Fenstern ein Licht, und sie sahen einen Schatten, der sich davor bewegte.
Die Straße der Schneider lag im Dunkeln. Aber voraus, halb verdeckt durch davorstehende Bäume, brannte ein einzelner Broch lichterloh, und Circendil zog sein Schwert, als sie darauf zuritten. Das Klappern der Hufe hallte von den kaum sichtbaren Hauswänden beiderseits der Straße wider wie die Schläge einer Trommel. Die Flammen schlugen bis über die Wipfel der Gartenbäume und irrlichterten an einem wolkenverhangenen Himmel. Ein bösartiges Knacken und Knistern lief vor ihnen durch die Nacht.
Die Vahits taten es dem Davenamedhir nach. Klirrend fuhren ihre Wacalas aus den Scheiden. In ihrem Rücken ging der zunehmende Mond hinter dünneren Wolken unter. Brandgeruch erfüllte die Luft und drang ihnen in die Nase. Ob Mellow Angst hatte, wusste Finn nicht. Er selbst spürte nur allzu deutlich, wie ihm ein mulmiges Gefühl den Rücken hinaufkroch und sich in seinem Nacken festsetzte. Beinahe hätte er sein Wacala fallen gelassen, als ihn ein jähes Frösteln überkam. Es war, als habe ein körperloses Wesen eiskalte Beine um seinen Hals geschlungen und schlüge nun Sporen aus Angst tief in seine Rippen. Mellow warf ihm einen langen Blick zu, sagte aber nichts.
Finn dachte plötzlich an Tallia und war dankbar, dass sie ihn jetzt so nicht sehen konnte: zitternd und verschwitzt und einem Gefühl im Bauch, als wüte etwas in seinen Eingeweiden wie ein böser Geist.
Dann waren sie aus dem Schatten der letzten Obstbäume heraus. Sie sprengten vorwärts, mitten in den Feuerschein hinein.
17 . KAPITEL
Am Mürmelkopf
D ER B ROCH RAGTE VOR ihnen auf wie der in Brand geratene Kamin eines Wrisilrhiobs. Das flache Dach mit dem üblichen Ziergarten oben darauf war eingestürzt, und aus seiner runden Öffnung stoben die lodernden Flammen noch einmal so hoch, wie der Bau selber reichte.
Hinter den gesplitterten Fenstern tobten Schlieren aus reinem Feuer, gewaltig und alles verzehrend.
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