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Der verkaufte Patient

Titel: Der verkaufte Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Hartwig
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desillusioniert ob der Dummheit und rücksichtslosen Machtversessenheit unserer politischen Klasse, und dazu gehört bei Gott auch die Blase der Körperschaften.« Mit Körperschaften meint er die Kassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen.
    Eine junge Ärztin schrieb mir: »Wir (oder nur ich?) sind manchmal schon sooo müde.« (Dr. A.). Sooo müde – mit drei »o«! Ich schrieb ihr: »Das wollen die, dass Sie sooo müde sind! Dass Sie mürbe werden! Dass Sie den Bettel hinschmeißen! Aufwachen, junge Frau! Noch ist nicht aller Tage Abend. Die Patienten sind an Eurer Seite. Ihr Ärzte müsst Euch nur entscheiden: Wollt Ihr der Hammer oder weiterhin der Amboss sein!?«
Ärztevernichtung, systematisch geplant
     
    Was geht eigentlich ab in einer ganz normalen Praxis eines niedergelassenen Arztes in Deutschland? Ich behaupte: Es gibt den strategisch-politischen Willen, den freien niedergelassenen Arzt zu vernichten. Das geschieht über folgende, bewusst herbeigeführte Faktoren: 1. den bürokratischen Erstickungstod, 2. den existenziell-ökonomischen Hungertod, 3. den Erschöpfungstod durch Überarbeitung, 4. den psychischen Tod durch gezielten Aufbau von Drohszenarien und Injektion von Angst. Langsam hat auch der letzte Hausarzt in Deutschland verstanden: Vom Dreigestirn Politik, KV und Kassen wird gezielt Verunsicherung betrieben.
Bürokratie – oder: Der Wahnsinn hat Methode
     
    Versetzen wir uns für einen Augenblick in den bürokratischen Dschungel einer ganz normalen Praxis irgendwo in Franken im Jahr 2008. Eine Ärztin beschreibt mir ihren Alltag: Es ist Vormittag, 10.00 Uhr. Zwei Stunden Arbeit hat Frau Doktor schon geleistet. »Der Nächste bitte!« Es kommt Frau A. Sie hat einen grippalen Infekt, mit allem, was dazugehört: quälender Reizhusten, Schlafbeschwerden. Untersuchung. Ausstellung eines Kassenrezeptes. Für einen Hustenstiller ein grünes Rezept. Für Nasenspray und Grippetabletten (nicht erstattungsfähig) eine Verordnung, da die Medikamente von der Kasse nicht übernommen werden. Natürlich ist auch eine (in der Diagnose verschlüsselte) Arbeitsunfähigkeitserklärung fällig, diese in dreifacher Ausfertigung. Der Computer läuft auf Hochtouren, der Drucker rattert. Formulare unterschreiben und an Patientin aushändigen. »Gute Besserung, der Nächste bitte!« Herr B. ist dran. Alter Bandscheibenvorfall. Folgebeschwerden in der Lendenwirbelsäule. Untersuchung. Spritze. Kurzer Blick auf die PC-Daten: Weiteres Rezept für Krankengymnastik möglich. Machen wir. Gott sei Dank habe ich den 83-seitigen Heilmittelrichtlinienkatalog der KV intus! … »Gute Besserung, der Nächste bitte!« Da ist schon Herr C. – Schulterschmerzen. Den Arm kann er gerade mal bis zu einem Winkel von 90 Grad anheben. Klarer Fall: arbeitsunfähig. Arbeitsunfähigkeitserklärung ausfüllen. Will Kassenrezept für Schmerzmittel ausfüllen. Patient: »Vertrage ich nicht. Aber Ihre Akupunktur hat mir zuletzt geholfen, als ich Kniebeschwerden hatte.« Keine Chance, Herr C. – Kasse zahlt Akupunktur nur bei Knie- und LWS-Beschwerden. Herr C. verständnislos. Diskussion. Schließlich geht er kopfschüttelnd – das Einzige, was ich ihm mitgeben kann: ein Kassenrezept für 6-mal Krankengymnastik. Frau D. wartet schon mit ihren beiden Kindern. Beide haben einen fieberhaften Infekt mit Husten und Halsschmerzen. Die 5-Jährige bekommt einKassenrezept für Fieber- und Hustensaft. Bei vereiterten Mandeln der 14-Jährigen gibt es ein Antibiotikum und ein grünes Rezept für Paracetamol und Lutschtabletten; das Kind ist nämlich über 12. Außerdem fällig: für die Kinder eine Schulbescheinigung und für die Mutter eine Bescheinigung für den Arbeitgeber – das ist das Formular für den »Bezug von Krankengeld bei Erkrankung des Kindes«. Gute Besserung, auf Wiedersehen. Störung: Die Helferin bringt die Post: Anfrage des Versorgungsamtes, ob Herr P., 93 Jahre alt, seit 20 Jahren Bewohner des Pflegeheimes, seinen Rollstuhl immer noch benötigt. Ich raste kurz aus: Denkt dieser Schreibtischtäter, der Patient sei zwischenzeitlich olympiatauglich geworden?! »Erstellen Sie einen Befundbericht! Legen Sie Fremdbefunde, EKG, Labor, Entlassbriefe bei! … Alleinige Nennung von Diagnosen ist nicht ausreichend!« Anfrage kommt in die Ablage. Da liegen schon vier ähnliche Teile: a) Anfragen einer privaten KV, b) Anfrage einer Unfallversicherung, c) Anfrage einer BKK, Frau F. sei jetzt schon eine Woche krankgeschrieben, wie lange denn

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