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Der verkaufte Patient

Titel: Der verkaufte Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Hartwig
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Material und Fahrtkosten. Ergo I: Die Waschmaschine ist mehr wert als der Mensch. Mein Monteur gibt mir auch keinen Rabatt, sollte mein Kühlschrank am selben Tag den Geist aufgeben. Ergo II: Sagen Sie Ihrem Kind, es soll Monteur lernen, nicht Medizin studieren.
    Kurzum: Der Allgemeinarzt wird zur Fließbandabfertigung des Patienten genötigt. Ich selbst habe ja meine speziellenErfahrungen mit dieser unsäglichen Zeitmesser-und-Warnhinweis-Ärzte-Software, die dem Arzt signalisiert: »Die Behandlungszeit des Patienten ist abgelaufen.« Kommen Sie zum Beispiel zum Hausarzt mit Halsschmerzen, kann er bei Ihrem ersten Kontakt eine so genannte Abrechnungsziffer eingeben (Versichertenpauschale). Für diese bekommt er eine bestimmte Zahl an Punkten gutgeschrieben. Nach gegenwärtigem Stand sind das je nach Alter des Patienten in Bayern beispielsweise ca. 45 Euro. Darin sind sämtliche Gespräche und Untersuchungen für das gesamte Quartal, also für drei Monate, enthalten. Es ist besser für den Hausarzt, Sie kommen nur einmal und dann nie wieder (im Quartal)! Alle Gesprächs- und Beratungsleistungen sowie sämtliche Untersuchungen, die er mit seinen Händen und fünf Sinnen durchführt, sind in der einmaligen Pauschale enthalten. Egal wie oft sie zu ihm gehen und wie lange er mit Ihnen spricht – es geht auf seine Kappe. Weitere Ziffern und damit Punkte/Euro gutmachen kann Ihr Arzt nur noch durch spezielle technische Untersuchungen, also durch Apparatemedizin (ein Belastungs-EKG, eine Lungenfunktionsuntersuchung), durch Impfungen, Gesundheitsvorsorge (alle 2 Jahre erlaubt), Hausbesuche (in der Freizeit) und Notdienste (am Wochenende und nachts). Mit anderen Worten: Je mehr er sich um sie kümmert und sich Ihnen als Mensch im Gespräch zuwendet oder Sie persönlich untersucht, desto weniger verdient er.
Budgetierung – oder:
Warum die Feuerwehr nicht mehr löschen darf
     
    Ärztliche Leistungen werden budgetiert und bei Verstoß mit Regressforderungen geahndet. Pro Patient gibt es im Jahr 2008 pro Quartal ein festgelegtes Budget; der Arzt darf pauschal in diesem Zeitraum noch Behandlungen im Wert von 45 Euro veranlassen. Doch diese 45 Euro hat der Arzt nurtheoretisch, denn sie beziehen sich auf ein kaum durchschaubares, im Grunde empörendes Punktesystem (siehe Kapitel 9), dem die Ärzte hilflos ausgeliefert sind. Der Arzt lebt in einer ständigen Unsicherheit über sein Einkommen und sein tatsächliches Budget. Über ihm hängt immer ein Damoklesschwert. Er muss sich täglich fragen: Wird es dieses Jahr auf mich heruntersausen?
    Welchen Effekt hat nun Budgetierung? Ich erkläre das immer mit der Feuerwehr. Wenn es eine Budgetierung des Wassers bei der Feuerwehr gäbe, würde das so ablaufen: Ein Haus brennt, die Feuerwehr löscht. Die Stadtverwaltung hat aber nur eine bestimmte Menge Wasser budgetiert, die für alle Brände im Jahr verbraucht werden darf. Die Feuerwehrleute halten drauf. Das Haus brennt aber immer noch. Die Stadtverwaltung ruft: Wasser stopp! Der Feuerwehrkommandeur aber will die Menschen im brennenden Haus retten und ruft: Weiterlöschen, Freunde! Er rettet dadurch die Menschen. Anschließend werden ihm aber von seinem Gehalt die Kosten für die Wassermenge abgezogen, die er über die budgetierte Zahl hinaus verbraucht hat. Das ist der alltägliche Irrsinn, dem unsere Ärzte ausgesetzt sind. Ein Irrsinn, den wir Patienten ausbaden. Der Arzt schwankt zwischen Szylla und Charybdis: Entweder er ist ein Lump, lässt seine Patienten im Stich und folgt der Verordnung – oder er tut das nach seinem Wissen und Gewissen Angemessene für den Patienten und riskiert seine berufliche Existenz. Durch die Zwangsmitgliedschaft in der Kassenärztlichen Vereinigung finanzieren die Ärzte ihren eigenen Untergang, gerade wenn sie gute Ärzte und von hoher Verantwortung sind.
    Da studiert also ein junger Mensch jahrelang Medizin. Der Beruf, den er anstrebt, erfordert großes Wissen, dazu Erfahrung und Intuition. Ein Anwärter für den Arztberuf unterzieht sich Hunderten von Lernprozessen. Er muss sich ständig weiter qualifizieren, wird geprüft, geprüft und noch einmal geprüft. Er setzt sich hochkomplexen Zulassungsverfahrenaus. Und dann sitzt er endlich in seiner Praxis vor dem PC – und darf – weil es das schöne neue Gesundheitssystem so will – rückwärtsmutieren – auf das Niveau eines Gesundheitsautomaten. Alles ist standardisiert. Der Arzt darf die Tippse spielen, den »Codierer für Bürokratiewahnsinn«

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