Der verkaufte Patient
noch?, d) Anfrage einer Kasse: Patientin zum ersten Mal im Krankenstand, eine Seite Fragen, gewöhnliche Allgemeinuntersuchung reicht Kasse nicht aus. Beim nächsten Patienten geht es formulartechnisch ebenfalls hoch her: ein Diabetiker. Er ist auf Wunsch der Krankenkasse im DMP-Programm (Disease-Management-Programm). Heißt: Untersuchung, Besprechung der Befunde, Medikamentenplan, Ciao! Ausfüllen des Formblattes DMP mit den üblichen 46 (!) Fragen. Ufff! Blick auf die Uhr: Patient müsste jetzt zu Hause angekommen sein. Nun Herr F.! Hoher Blutdruck, nimmt Betablocker ein. Im Gepäck: zwei Anschreiben seiner Kasse. Anschreiben 1: Warum hat Ihr Hausarzt Sie noch nicht in eine DMP für Herzpatienten eingetragen? Das Anschreiben verrät mir den subtilen Druck der Kasse: Sie teilt dem Patienten beiläufig mit, welche Ärzte DMP problemlos machen. Die Botschaft (denke ich): Vielleicht sollten Sie sich einen neuen Hausarzt suchen, einen auf Kassenlinie … Ich erkläre dem Patienten,dass er zwar Bluthochdruckpatient, aber keineswegs Herzpatient sei, insofern für DMP nicht in Frage komme, auch wenn die Kasse darauf dringe (zu den Hintergründen des DMP, siehe Seite 169 f.). Patient legt zweites Anschreiben vor: Kasse erklärt Patienten, welche alternativen Medikamente durch einen aktuellen Rabattvertrag der Krankenkasse mit ihrem Lieblingspharmakonzern derzeit unter Umständen 4 Cent billiger sind als sein bewährtes Blutdruckmittel. Wir gehen die Liste durch. Einige hatten wir schon. Abgesetzt – nicht verträglich. Nach 15 Minuten Vertrauenswerbung geht Herr F. – hoffentlich überzeugt. An der bewährten Therapie hat sich nichts geändert. »Der Nächste, bitte! … Nein, stopp, erst mal Praxis-E-Mail!« Helferin will wissen, ob Antrag auf Mutter-Kind-Kur von Frau H. bereits ausgefüllt ist? Nein, wann denn? Drei Seiten für die Mutter, drei Seiten für den Jungen, drei Seiten für das Mädchen. Das geht nicht nebenbei. Frau J. kommt ohne Termin: »Nur eben Blutergebnisse für ambulante Krampfadern-OP, bitte!« – »Halt, so geht es nicht. Sie brauchen erst eine Untersuchung für den Narkosearzt!« Das volle Programm: Sechs Seiten Bedrucktes, EKG, Mediplan, Laborblatt, zwei Seiten Protokoll zur Dokumentation des Befunds im Rahmen der Anästhesievorbereitung. »Alles Gute, der Nächste bitte!« Frau L.: Hatte vor zehn Jahren Herzinfarkt, Asthmatikerin. Eine Seite DMP-Herzpatient: 28 Fragen. Eine Seite DMP-Asthma: 24 Fragen. Zwei Rezepte. »Der Nächste, bitte!« Dann der Gipfel: Herr M., 63, kaputte Wirbelsäule, ein ganzes Leben hart gearbeitet. Will auf Kur! Kasse scheint geneigt. Das bedeutet: Formular Nr. 60 »Einleitung von Leistungen zur Rehabilitation« – nein, das ist noch nicht der Kurantrag, sondern der Antrag auf Erteilung eines Kurantrages. Wieso fällt mir jetzt Reinhard Mey ein? Ein paar Tage später erhalte ich von den Kassen das Formular Nr. 61 – Teil A, B, C, D, E –, genannt »Verordnung von medizinischer Rehabilitation«. Das ist er, der eigentliche Kurantrag …
Ich stoppe Frau Dr. K. Der Vormittag reicht mir. Ich weißjetzt, warum es in Deutschland mehr Krankenkassen-Angestellte als Ärzte gibt – das ist kein Witz. Und ich kann Frau Dr. K. verstehen, wenn sie angesichts dieses bürokratischen Wasserkopfes aufstöhnt: »He, warum lasst Ihr uns nicht einfach in Ruhe arbeiten!?«
Ausbluten lassen!
Es gibt eine sich stets nach unten schraubende Spirale bei den Honoraren; die Bezahlung der ärztlichen Leistungen wird immer schlechter. Weil der Arzt kein Streikrecht hat, muss er es hinnehmen, dass er für einen Hausbesuch 400 Punkte bekommt; ein Punkt, das waren 2007 in Bayern 5,11 Cent, macht nach Adam Riese 20,44 Euro. Für den Weg zahlen Kassen am Tag 1 oder 2 Euro – also besser Fahrrad fahren. Wegen der Senkung des Punktwertes erniedrigte sich die Summe auf 17,35 Euro. Wem die 20 Euro zu viel waren, ist nicht klar nachzuvollziehen. Ein findiger Kopf hat noch Einsparpotenzial beim Hausarztbesuch im Pflegeheim entdeckt. Der Satz für den ersten Patienten beläuft sich auf 17,35 Euro; für weitere Pflegeinsassen beträgt das Honorar pro Patient dann nur noch 7–8 Euro. Rabatt? Massenabfertigung? Im Dutzend billiger? Aus welchem rationalen Grund wird die Behandlung des Patienten in Zimmer 17 abrechnungstechnisch anders gewichtet als die des Patienten in Zimmer 18? Im Vergleich dazu: Die Reparatur meiner Waschmaschine kostete 75 Euro bei einer Arbeitszeit von 20 Minuten zuzüglich
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