Der verkaufte Tod
und stützte sich an der Mauer der Bank ab. »Wie heißt du?«
»Tawan.«
»Ich bin Shakir.«
»Ein Hindu?«
»Nein, meine Familie ist eine bekannte Brahmanenfamilie in Lahore. Mein Vater ist Professor und Forscher. Sein Name ist in der ganzen Welt bekannt.«
»Und hat so einen verkommenen Sohn!«
»Auch das beste Huhn legt mal ein faules Ei. Ich war drei Jahre, da sagte mein Vater zum ersten Mal: ›Wär' er doch bloß nicht geboren worden!‹ Ich hatte unseren weißen Angorakaninchen, die im Garten als Zierde herumliefen, die Augen ausgestochen. Zwei Tage später habe ich mit einem Strick, den ich irgendwo gefunden hatte, unseren herrlichen Pfau erdrosselt. Und jeder wunderte sich, woher ich mit drei Jahren die Kraft dazu hatte. Erst als ich Medizin studierte, bekam ich die Antwort, die eigentlich jeder wissen müßte: Ein Irrer entwickelt wirklich irre Kräfte!« Er schloß die Augen, verkrampfte den Mund, stieß ein Stöhnen aus und sah dann Tawan bettelnd an. »Können wir jetzt in ein Krankenhaus fahren?«
»In welches?«
»Das ist doch egal! In das nächste. Schlecht sind sie alle, wenn ein Greuel wie ich eingeliefert wird.«
Sie verließen das Holzdach, und Tawan mußte Shakir stützen. Der Blutverlust hatte ihn so geschwächt, daß er kaum noch auf den Beinen stehen konnte. Das Gehen war fast unmöglich.
Als Vinja ihren Onkel herauskommen sah, stürzte sie auf ihn zu. Sie hatte neben dem Dach auf ihn gewartet. »Ist alles in Ordnung?« rief sie und starrte Shakir an. »Der Mann blutet ja. Ich habe einen Schrei gehört.«
»Es war dieser Mann. Er heißt Shakir.«
»Bist du auch verletzt, Onkel Tawan?« Ihre Augen blitzten, haßerfüllt musterte sie Shakir. »Ich habe dir ja gesagt, du wirst dein Messer brauchen.«
»Es war Notwehr, Kleines.«
Shakir versuchte ein Lächeln; es wurde zur verzerrten Maske. »Die reichen Herren halten sich eine Kinderhure«, sagte er spöttisch. »Oder ist sie ein Überbleibsel aus den Slums? Ich hatte mal eine, die wollte keine Rupien, nur Dollars. Drei Dollar für einen Orgasmus. Es war mein letztes Geld, aber ich hatte das Gefühl, es gut angelegt zu haben.« Er zeigte auf Vinja. »Was kostet sie?«
»Einen Messerstich in die richtige Gegend!« Tawan wandte sich an Vinja. »Siehst du, mein Kleines, das sind die Bestien, vor denen ich dich gewarnt habe. Jetzt siehst du solch ein menschliches Tier. Hüte dich vor ihnen – wenn ich einmal nicht mehr auf dieser Welt bin.«
An etwas hatte Tawan nicht gedacht, als er ein Taxi heranwinkte: Shakir sah schrecklicher aus, als Tawan jemals ausgesehen hatte.
Der Taxifahrer erkannte erst, als er hielt, daß der weiße Seidenanzug, der ihn getäuscht hatte, von oben bis unten voller Flecken war. Die Hirsesuppe. »Seid ihr verrückt geworden, ihr Wanzen?« schrie er durch das offene Fenster. »Man sollte euch an die Wand werfen!«
Tawan sah nicht ein, warum er sich auf Schimpfworte einlassen sollte. Er kehrte zu seiner eigenen, überzeugenden Sprache zurück. So schob er Shakir und Vinja auf die Hintersitze, setzte sich selbst neben den Fahrer, holte sein Messer hervor und stieß es in das gepolsterte Armaturenbrett. An der Klinge klebte noch das Blut des Studenten.
Der Taxifahrer erstarrte. Seine Hand schnellte zur Hupe, um Alarm zu geben, aber Tawan schlug ihm die Finger zur Seite. »Warum willst du Dummheiten machen, mein Freund? Du hast keine Ahnung, was vorgefallen ist.« Er griff in die Tasche, holte ein Bündel Rupienscheine heraus und hielt sie neben das Messer. »Der Mann hinter uns heißt Shakir, ist verletzt und muß ins Krankenhaus. Du siehst, ich bezahle alles.«
»Ist er besoffen?« fragte der Fahrer und startete den Motor. »Wer bezahlt, wenn er in mein Auto kotzt?«
»Er ist nicht betrunken.«
»Nicht? Und dein Anzug? Er hat dir doch den Anzug vollgekotzt!«
»Das ist Suppe.« Tawan klopfte auf das Lenkrad. »Los, fahr an! Zum Marvan-Hospital! Schnell. Er verblutet sonst.«
»Eine Schlägerei?«
»Nein!« Tawan zeigte stumm auf sein Messer.
Der Fahrer bemerkte das getrocknete Blut, zog den Kopf tief zwischen die Schultern und gab Gas. Tawan klammerte sich an Tür und Sitz fest. Hupend raste der Wagen durch die Straßen und über die Plätze – ein Taxifahrer in Kalkutta muß ein besonderes Abkommen mit seinen Göttern haben, daß nichts passiert.
Tawan lieferte Shakir im Hospital ab. Dort wollte man ihn sofort wieder hinauswerfen, aber als Tawan sagte, er wolle für seinen Freund im voraus
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