Der Verlobte
überhaupt? Ich möchte Sie keinesfalls langweilen!«
»Oh, nicht doch«, beeilte sich Tillmann zu sagen. »Es interessiert mich sehr.« Er räusperte sich. »Lilly hat noch nie davon gesprochen.«
»Ach ja, Lilly, das gute Kind, frisst immer alles in sich hinein«, erklärte die Großmutter mit bekümmertem Gesicht. »Dabei konnte sie wirklich nichts dafür.«
Neugierig sah Tillmann sie an. »Was ist denn geschehen? Sie muss damals doch noch sehr jung gewesen sein?«
»Ja, sie und Bert waren dreizehn oder vierzehn Jahre alt«, berichtete die Großmutter versonnen. »Zu jung, um sich über die Konsequenzen ihres Handelns wirklich Gedanken zu machen. Die beiden tollten draußen herum mit Veronika. Sie haben dem armen Mädel ganz schön zugesetzt. Veronika ist, ähm, war etwas älter als die beiden und fühlte sich verantwortlich. Und natürlich hatten Lilly und Bert einen Riesenspaß daran, Veronika zu ärgern.« Die Großmutter lächelte kurz. »Sie versteckten sich, rauchten heimlich Zigaretten und hielten die arme Veronika furchtbar auf Trab.« Sie atmete tief ein. »Damals hatten wir noch Pferde und lagerten im anderen Stallgebäude das Heu. Irgendwann müssen sie Veronika in diesen Stall gelockt und die Tür von außen verriegelt haben. Sie bekam einen furchtbaren Asthmaanfall …«
Tillmann dachte bestürzt an die arme Tote und nippte am Whisky. Kein Wunder, dass sie so bissig in die Welt schaute, ähm, geschaut hatte.
»Sie brauchte dringend ein stärkeres Medikament«, nahm die Großmutter die Geschichte wieder auf. »Deshalb musste jemand zur Apotheke fahren. Das wollte zunächst Leopold tun, doch er hatte erst kurz zuvor seine Frau verloren und wollte unbedingt bei seiner kranken Tochter bleiben.«
»Verständlich.« Tillmann nickte.
»Also bot sich Ludger an«, sagte sie. »Er hatte wohl ein schlechtes Gewissen, weil sein Sohn Bert sich wieder einmal unmöglich benommen hatte. Ludger war überhaupt immer sehr hilfsbereit«, erinnerte sich die alte Dame lächelnd. »Sie müssen wissen, er ist mein Sohn aus einer früheren Verbindung. Als ich dann Karl-Gunter heiratete, hat sich Ludger immer besonders bemüht. Er war ein guter Junge …«
»Ist er …« Tillmann spürte ein Kratzen im Hals. »Ist ihm denn etwas zugestoßen?«
»Das dachten wir zunächst, als wir sein Auto im Wald fanden«, sagte sie traurig. »Der Wagen war komplett ausgebrannt und von Ludger gab es keine Spur.« Sie nahm einen großen Schluck Whisky. »Die Hoffnung, ihn zu finden, schwand allerdings, als die Polizei hier tagelang alles durchkämmte und Ludger verschwunden blieb.« Plötzlich bekam ihr Gesicht einen wütenden Ausdruck. »Und dann kam dieser Anruf! Dass er entführt worden war, und dass die Verbrecher drei Millionen Lösegeld von uns haben wollten!«
Tillmann erinnerte sich an Berts gehässige Bemerkungen vom Vorabend über ein nicht gezahltes Lösegeld. »Und, haben Sie bezahlt?«, fragte er.
Die Großmutter nickte langsam. »Ja. Ich habe die Pferde verkauft und die Koppeln. Die Mädchen haben mir das sehr übel genommen.« Sie seufzte. »Aber ich hatte keine andere Wahl. Ich musste schließlich drei Millionen zusammenkratzen.«
»Konnten Sie denn kein Geld von der Bank bekommen?«, entfuhr es Tillmann. Sofort verstummte er. Die Frage war an dieser Stelle wirklich unangemessen privat. Er fühlte sich von seiner Neugier ferngesteuert. Er musste unbedingt mehr Distanz wahren.
»Sie denken sehr praktisch, junger Mann«, stellte die Großmutter lächelnd fest. »Das gefällt mir.« Sie trank einen Schluck. »Mein Mann weigerte sich, auch nur einen Pfennig unseres gemeinsamen Vermögens als Lösegeld zu zahlen oder gar einen Kredit aufzunehmen.«
»Wie bitte?« Tillmann konnte sein Erstaunen nicht verbergen.
Sie nickte. »Sie hören richtig: Er weigerte sich einfach, einer Erpressung nachzugeben. Und um Ihrer nächsten Frage vorzugreifen: Er hätte auch bei jedem anderen unserer Kinder so entschieden.« Sie schnaufte leise. »Obwohl ich natürlich verstehe, dass Ludgers Sohn und seine Frau aufgebracht darüber waren. In einer solchen Situation reagieren die wenigsten Menschen analytisch.«
»Aber Sie haben doch gezahlt?«, fragte Tillmann gespannt.
»Ja, und zwar genau so, wie die Entführer es wollten«, erklärte sie. »Man verlangte, dass seine Geschwister das Geld übergeben, jeder eine Million in kleinen Scheinen, und alle gleichzeitig an völlig verschiedenen Orten.« Sie griff erneut zur Whiskyflasche und
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