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Der Verlobte

Der Verlobte

Titel: Der Verlobte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Sylvester
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schenkte sich nach. »Leopold musste das Geld in der Pariser Metro übergeben, Louise auf einer Fähre nach Oslo und Liselotte im Wiener Prater.«
    »Das klingt ziemlich kompliziert«, sagte Tillmann. »Aber auch sehr durchdacht. Schrecklich durchdacht. Haben die Übergaben denn stattgefunden?«
    »Ja, doch, natürlich«, sagte sie. »Alle drei haben das Geld deponiert und sind zum Glück unversehrt zurückgekehrt. Nur Ludger blieb weiterhin verschwunden! Bis heute.«
    Tillmann war betroffen. »Und Sie wissen gar nicht, was aus ihm geworden ist?«
    Die Großmutter schüttelte betrübt den Kopf. »Die Entführer haben sich noch einmal gemeldet und behauptet, es fehle eine Million.« Sie seufzte. »Ich konnte beim besten Willen nicht noch mehr Geld auftreiben. Da haben sie uns Ludgers Ermordung angekündigt. Wir müssen also davon ausgehen, dass er tot ist.«
    »Hat man denn seine Leiche gefunden?«, fragte Tillmann und biss sich sogleich auf die Unterlippe. Halt dich zurück, dachte er erschrocken.
    »Nein«, sagte sie matt. »Man hat nie einen Beweis für seinen Tod gefunden.«
    »Und wo ist die fehlende Million geblieben?« Es gelang Tillmann einfach nicht, seine Neugier zu zügeln.
    »Oh, das ist beinahe das Schlimmste an der ganzen Geschichte«, sagte sie. »Seitdem beschuldigt einer den anderen, das Geld selbst eingesteckt zu haben. Oder man verdächtigt Ludger, das Ganze nur inszeniert und sich mit dem Geld aus dem Staub gemacht zu haben. Die arme Clara, Ludgers Frau, ist im Laufe der Zeit deswegen verrückt geworden. Und Bert, der gute Junge, läuft völlig aus dem Ruder.«
    Tillmann nippte ein weiteres Mal vorsichtig am Whisky. Ihm waren verworrene Familienverhältnisse zwar sowohl aus seinem eigenen Leben als auch aus der Bühnenliteratur durchaus vertraut. Doch was hier unter der Oberfläche schwelte, war wirklich ein psychologischer Vulkan.
    »Kennt Lilly die ganze Geschichte?«, fragte er zweifelnd, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass sie das alles einfach nur verdrängte. Aber wie gut kannte er Lilly wirklich?
    »Bestimmt nicht die ganze Geschichte«, sagte die Großmutter schnell. »Ich glaube kaum, dass bei Louise nach zehn Jahren Vollrausch noch viel von ihrer Erinnerung übrig ist.«
    In diesem Moment schoss Tillmann zum ersten Mal durch den Kopf, dass diese Geschichte eventuell der Grund für Louises übermäßige Trinkerei war. Vielleicht versuchte Mama-Lou ja, ihre Erinnerungen zu ertränken. Er schob sein ohnehin fast unberührtes Glas Whisky von sich.
    »Ich habe vollkommen die Zeit vergessen«, sagte die Großmutter unvermittelt und erhob sich. »Kommen Sie, mein lieber Tillmann, die anderen warten sicher schon auf uns.«

Eine Handvoll Leichen

In der Tat hatten sich schon fast alle um die lange Tafel versammelt, als die Großmutter und Tillmann kurz darauf den Speiseraum betraten. Alle außer Veronika natürlich. Paul fehlte ebenfalls, und auch die beiden Plätze neben Bert waren noch immer frei.
    »Mutter, ich finde es nicht sehr mütterlich, dass du uns den netten Förster die ganze Zeit vorenthältst«, sagte Tante Lilo grinsend.
    Tillmann bemühte sich, dem Blick der Schauspielerin auszuweichen und fing den lasziven Augenaufschlag ihrer Freundin Elisabeth auf. Sie war ebenfalls eine Frau der Bühne, da war er sicher.
    »Das stimmt«, pflichtete Louise ihr bei. »Die arme Lilly ist schon ganz krank vor Sehnsucht …«
    »Kinder, lasst den Quatsch«, verlangte die Großmutter streng. »Ich habe euch etwas sehr Trauriges mitzuteilen. Die arme Veronika ist heute Morgen von uns gegangen.«
    »Och, und wo ist sie hingegangen?« fragte Louise kichernd. »Ins Kloster?«
    »Halt den Mund, Louise!« Der Großvater klang barsch. »Dein Feingefühl hat sich offenbar endgültig in Alkohol aufgelöst! Du bist wirklich unglaublich! Dein armer Bruder Leopold hat soeben seine Tochter verloren.«
    Erst jetzt sah Tillmann, dass Onkel Leopold mit dem kleinen Inhaliergerät spielte, das Veronika am Abend zuvor aus der Tasche gezogen hatte. Er starrte trübe vor sich hin.
    Der Großvater nahm das Inhaliergerät. »Kennt ihr diesen Püster?«, fragte er in die Runde.
    Allgemeines betretenes Gemurmel hob an. Nur Lilly starrte entsetzt auf ihre Großmutter. Sie schien ihren Blick gar nicht mehr von der würdigen alten Dame losreißen zu können.
    »Veronika brauchte ihn heute Morgen dringend.« Der Großvater klang wie ein Nachrichtensprecher. »Und entgegen unseren ersten Befürchtungen hatte sie den

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