Der Verlobte
hinzuzufügen. Es war wahrlich ein grauenhaftes Bild.«
»Sauerei!«, verkündete der Großvater und goss sich Schnaps nach.
»Tja, und wieder ein Stück weniger in der Aussteuer«, erklärte Bert. »Blutflecken kriegt man nicht raus!«
»Das hätte Paul jetzt auch gesagt«, meinte Lilly mit einem sichtlich bemühten Grinsen. Sie war blass und schien immer noch das Würgen zu unterdrücken. Tillmann strich ihr beruhigend über die wilden Locken.
»Nun fummeln Sie mal nicht an meiner Enkelin herum!«, fuhr der Großvater Tillmann an. »Geben Sie mir lieber den Brief da!« Er deutete auf Pauls Gedeck.
Tillmann nahm den Umschlag und gab ihn an Lilly weiter, die ihn ihrer Mutter reichte. Mama-Lou beugte sich über den Tisch, gab den Brief ihrem Vater und nutzte die Gelegenheit, sich die Schnapsflasche zu greifen.
Der Großvater zog eine schmale Lesebrille aus seiner Brusttasche und setzte sie auf. »Aha«, murmelte er mit gerunzelter Stirn. »Hier steht: Worte sind eine Waffe, aber Messer schneiden besser.« Er legte den Brief zur Seite und steckte die Brille wieder ein. »So ein Blödsinn.«
»Was ist mit dem Brief für Veronika?«, fragte die Großmutter.
In diesem Moment betrat ein leichenblasser Onkel Leopold den Raum. Tiefe Augenringe untermalten seinen traurigen Blick. Er setzte sich schweigend auf seinen Platz und starrte vor sich hin.
»Der Brief ist weg«, sagte Tante Lilo und untersuchte eingehend das unbenutzte Gedeck. »Leopold, hast du den Brief für Veronika gesehen?«
Onkel Leopold nickte matt, erhob sich und zog ein etwas verknicktes Kuvert aus seiner Gesäßtasche. Er reichte es seiner Schwester.
Tante Lilo öffnete den Brief und las: » Warten, bis es vorbei ist und einfach tief durchatmen … «
»Na, Herr Lehrer, stimmt die Grammatik?«, fragte Elisabeth mit viel zu tiefer Stimme und klimperte mit ihren falschen Wimpern.
Tillmann sah sie entgeistert an. »Ich denke nicht, dass es sich hier um eine Frage der Grammatik handelt!« Man hörte, dass er verärgert war.
»Worum handelt es sich Ihrer Meinung nach dann, mein lieber Tillmann?«, fragte die Großmutter ungerührt.
»Nun, um Kapitalverbrechen«, entgegnete Tillmann ernst. »Um Mord! Wir müssen sofort –«
In diesem Moment knallte draußen in der Halle eine Tür und die Hunde schlugen an. Alle Blicke flogen zur Tür, durch die eine aufgeregte Frau hereingelaufen kam. Sie blickte nervös in die Runde und fiel dann unvermittelt Onkel Leopold um den Hals.
»Was für ein Glück!« Sie küsste ihn stürmisch. »Du lebst!«
»Wer weiß, wie lange noch …«, warf Bert lakonisch ein.
»Leo, du glaubst gar nicht, wie froh ich bin«, rief sie. »Ich hätte schwören können, dass es dein Jeep war!«
Die Frau machte sich von Onkel Leopold los, stürzte auf Bert zu und umarmte ihn überschwänglich.
»Oh, Bert, mein kleiner Wonneproppen!«
Bert schnaufte. »Ist ja schon gut, Mama, beruhige dich!« Er machte sich aus ihrer Umarmung los.
»Aber«, Lilly setzte sich aufrecht hin. »Wo ist Papa?«, fragte sie mit einem leichten Zittern in der Stimme.
»Das weiß ich doch nicht«, sagte die Frau, beugte sich über den Tisch und gab Tillmann die Hand. »Hallo, wir kennen uns noch nicht. Ich bin Clara. Sind Sie der Freund von Bert?« Dann lächelte sie freundlich. »Wissen Sie, ich habe doch überhaupt kein Problem damit. Es könnte uns schließlich alle treffen …«
Verwirrt blickte Tillmann von einem zum anderen.
»Clara, meine Liebe, du bist ja völlig überdreht«, sagte die Großmutter leicht verärgert.
»Wo ist mein Vater?«, fragte Lilly energisch, während Clara unentwegt ihren Sohn tätschelte.
Bert verdrehte genervt die Augen und machte Tillmann mit dem Zeigefinger Zeichen, die ihm wohl mitteilen sollten, dass seine Mutter nicht ganz richtig im Kopf war. Dann rückte er ihr den Stuhl zurecht und fragte: »Wo hast du Onkel Fritz gelassen, und was ist das für eine Geschichte mit Leopold und seinem Auto?«
»Ach ja, ich hätte schwören können, dass es Leopolds Auto war«, sagte Clara kichernd. »Leo, Schätzchen, hast du dir denn einen neuen Wagen zugelegt?«
»Wo hast du Leopolds Auto gesehen?«, fragte Bert und erinnerte Tillmann ein bisschen an die Stimme seines Navigationssystems. Er umfasste die Schultern seiner Mutter. »Was ist mit seinem Wagen?«
»Was ist mit Papa?« Lillys Stimme wurde schrill.
»Na, da war dieser Jeep«, sagte Clara. »Er lag da unten, war wohl von der Straße abgekommen und den Abhang
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