Der Verlobte
etwas?«
»Tut mir leid, aber Zigarren sind überhaupt nicht mein Gebiet«, gestand Tillmann. »Allerdings fällt mir natürlich bei diesem Namen sofort Alexandre Dumas ein, Der Graf von Montecristo .«
Der Großvater nickte lebhaft. »Es ist eine sehr edle Zigarre, die ich nicht nur nebenbei rauche. Wussten Sie, dass sie nach dem Buch von Dumas benannt wurde?«
»Nein«, sagte Tillmann. »Sind Zigarren nicht viel älter? Ich meine, Dumas ’ Bücher spielen im neunzehnten Jahrhundert.«
»Die Montecristo ist die meistverkaufte Zigarrenmarke Kubas«, erklärte der Großvater. »Und sie wurde nach dem Roman benannt, weil die Zigarrenrollerinnen das Buch so liebten.«
Tillmann schaute ungläubig. Er konnte sich nicht vorstellen, dass die Arbeiter in Kuba Dumas liebten. Aber vielleicht waren das auch nur seine wie auch immer geprägten Vorurteile.
»Sie schauen so zweifelnd, lieber Tillmann«, sagte der alte Herr lächelnd. »Doch es ist tatsächlich so. Man hatte schon früh auf Kuba eine Arbeitsweise eingeführt, die angeblich bis heute so praktiziert wird.« Er paffte genüsslich. »An jedem Arbeitstag in einer kubanischen Zigarrenmanufaktur liest eine der Rollerinnen aus Büchern vor«, erklärte er. »Und Der Graf von Montecristo war damals besonders beliebt. Deshalb gab man ihr diesen Namen.« Er blickte voll Zärtlichkeit auf seine Zigarre. »Sie kennen sicher das Buch.«
Tillmann nickte beflissen. »Der Held Dantès hat mich schon als Jugendlicher begeistert.«
»So, so, und was fasziniert Sie genau an Dantès?«, fragte der Großvater.
»Zum einen, dass er zunächst so gutgläubig ist, insofern ist das Buch auch kein wirklicher Abenteuerroman, denn der Held entwickelt sich durchaus weiter.« Tillmann geriet in Fahrt. »Zum anderen … Diese glühende Rache! Noch nach Jahren nimmt er Rache, und das ausgesprochen gerissen und diszipliniert. Als Jugendlicher erschien mir das als ein absolutes Ideal.«
Der Großvater nickte anerkennend. »So einen Sohn hätte ich mir gewünscht«, sagte er und paffte. »Aber Leopold ist ja ganz anders.«
»Und was gefällt Ihnen so gut an den Büchern von Samson Perowski?«, fragte Tillmann.
»Der Mörder«, lautete die prompte Antwort. »Die Perspektive des Mörders spielt immer eine Rolle.« Er balancierte elegant fast zwei Zentimeter Zigarrenasche zum Aschenbecher.
Plötzlich flog die Tür auf und Onkel Leopold stürmte herein. »Veronika«, keuchte er. »Sie liegt hinter dem Stall! Ich glaube, sie ist tot!«
»Was soll das heißen? Du glaubst , dass sie tot ist? Ich denke, du bist Arzt!« Der alte Herr warf seinem Sohn einen mitleidigen Blick zu. »Was redest du im Übrigen hier für einen Unsinn? Tot? Warum sollte denn hier irgendwer tot sein?«
»Lass deine Wortklaubereien, Vater!«, rief Onkel Leopold aufgebracht. »Und komm endlich!«
»Moment.« Der Großvater legte die Zigarre vorsichtig in den Aschenbecher. »Würden Sie bitte auf meine Montecristo aufpassen?«, fragte er Tillmann.
Der nickte erstaunt. »Ja …«
»Wissen Sie, sie muss ganz langsam ausgehen«, erklärte der Großvater. »Eine Zigarre muss immer in Würde dahinscheiden.«
»Das war meiner armen Veronika nicht vergönnt«, sagte Onkel Leopold scharf. »Sie ist offensichtlich ganz und gar würdelos erstickt.«
»Junge, was soll denn das?« Der alte Herr klang jetzt gereizt. »Dass ihr Kinder euch immer mit solchen geschmacklosen Scherzen wichtig machen müsst!«
Als die Tür hinter den beiden zufiel, musste Tillmann erstmal tief durchatmen. Was für eine seltsame Familie! War hier tatsächlich jemand erstickt? Hier auf dem Anwesen? Wie konnte das denn passieren? Vielleicht ein Unfall? Er starrte auf die dahinsiechende Zigarre. Er sollte doch lieber hinuntergehen und nachsehen. Schon wegen Lilly. Das verstieß schließlich nicht gegen ihre Abmachung.
Tillmann sprang auf und rannte hinaus. Er flog förmlich die lange Treppe hinunter in die Halle. Dort stand Bert, in verdreckten Gummistiefeln und eingerahmt von den beiden Doggen. Hänsel und Gretel knurrten.
»Sie dürfen nicht rennen«, sagte Bert mit schiefem Grinsen. »Die beiden Bestien mögen keine schnellen Bewegungen.«
Sofort hielt Tillmann in seinem Sprint inne. Mit Hänsel und Gretel wollte er sich gewiss nicht anlegen.
»Tja, wer hätte gedacht, dass unser Paul ein Mörder ist?« Bert grinste noch immer. »Dabei ist doch eigentlich Fritz derjenige, der anderen die Luft abdrückt.« Er machte eine eindeutige Handbewegung in
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