Der Verlobte
Augen weit auf.
Die Großmutter erhob sich. »Was soll das? Wer sind Sie?« Dann schlug sie sich eine Hand vors Gesicht. »Um Himmels willen! Ludger! Was tust du hier? Was soll denn das?«
Der Großvater schlug mit der Faust auf den Tisch, dass das Porzellan nur so schepperte. »Wo kommst du denn her? Was tust du da! Lass das Mädchen los!!«, brüllte er erbost.
Lilly zuckte zusammen und schaute ängstlich zu ihrer Großmutter. »Onkel Ludger«, sagte sie zaghaft, »du tust mir weh.«
Onkel Ludger grinste höhnisch in die Runde. »Wie schön, die liebe Familie traut vereint … Ich habe euch richtig vermisst in den letzten zehn Jahren.« Er lachte bitter auf. »Und wie groß die kleine Lilly geworden ist!«
Blitzschnell wanderten Tillmanns Blicke von einem zum anderen. Der Großvater wirkte um Beherrschung bemüht, seine Hände waren zu Fäusten geballt. Onkel Leopolds Augen waren weit aufgerissen, als sähe er ein Gespenst. Elisabeth stellte mit zitternder Hand ihre Tasse ab. Selbst Bert und der Großmutter schien der Schreck in die Glieder gefahren zu sein. Tillmann selbst spürte ganz deutlich den schalen Geschmack der Angst im Mund. Seine Zunge schien immer dicker und trockener zu werden.
»Papa, lass den Blödsinn!«, rief Bert. Seine Stimme klang schrill. »Das geht zu weit!«
»Allerdings«, fauchte die Großmutter über den Tisch. »Junge, ich bin sehr enttäuscht von dir.«
»Frag mich mal, was ich von euch so halte«, sagte Ludger böse.
»Was willst du überhaupt?«, fragte die Großmutter eisig. »Geld?«
»Hast du die drei Millionen schon auf den Kopf gehauen, du Versager?«, fragte der Großvater.
»Auf den Kopf gehauen wurden sie, aber nicht von mir«, erwiderte Ludger. »Nicht wahr, Leopold?«
Onkel Leopold starrte noch immer mit ängstlich aufgerissenen Augen auf die Waffe in den Händen des Bruders. Er sagte nichts.
»Leopold! Ludger hat dir eine Frage gestellt«, sagte die Großmutter streng. »Antworte!«
»Gut, vielleicht haben wir einen Fehler gemacht«, stieß Onkel Leopold gepresst hervor. »Aber musst du uns deshalb alle umbringen?«
»Einen Fehler? Einen Fehler?«, rief Ludger erbost. »Meine Lieblingsschwester Lilo hat entschieden, dass mein Leben vollkommen egal ist, wenn ihr nur eure Kohle habt – und das war ja nur ein kleiner dummer Fehler?«
»Aber ich bitte dich«, Onkel Leopold sah ihn flehend an. »Ihr hattet die Entführung doch inszeniert!«
»Wie bitte?«, rief Onkel Ludger. »Inszeniert? Wir?«
»Ja, du und Lilo«, sagte Onkel Leopold kleinlaut.
Onkel Ludger lachte bitter auf. Lilly schloss die Augen. Sie bewegte fast unmerklich die Lippen, als ob sie beten würde.
»Hat sie das gesagt? Diese Kanaille! Offenbar ist unsere karrierelose Schauspielerin doch nicht ganz talentfrei.«
»Wie?« Onkel Leopold machte ein erschrockenes Gesicht. »Lilo hat gesagt, wir würden durch vier teilen.«
»Und das gibt dir das Recht, eine Million selbst einzustreichen?«, fragte Ludger.
»Wie bitte? Du hast das Lösegeld einfach behalten?«, fragte die Großmutter entsetzt.
»Wieso bin immer ich der Sündenbock?«, jammerte Onkel Leopold. »Lilo und Louise doch auch!«
»Was?« Die Großmutter machte ein bestürztes Gesicht. »Ihr alle habt das Geld einfach eingesteckt?«
»Ja, Mutter, deine lieben Kinder«, sagte Onkel Ludger tonlos.
»Aber Lilo sagte doch, dass alles nur ein Spiel ist!« Onkel Leopold klang verzweifelt. »Sie sagte, Ludger sei gar nicht entführt worden. Wir sollten das Geld sicher verwahren und irgendwann später teilen!«
»Aber das habt ihr nicht gemacht?«, fragte die Großmutter. Ihr Erstaunen schien in Verzweiflung umzuschlagen.
»Eine völlig vermurkste Generation«, stieß der Großvater zornig hervor.
Onkel Leopold sackte immer weiter in sich zusammen. »Wir haben ihm nicht getraut«, sagte er kläglich. »Wir dachten doch, er schnappt sich das Geld und ist dann auf und davon … Außerdem habe ich die Million dringend gebraucht!«
»Hast du kleiner Kurpfuscher eigentlich eine Vorstellung davon, wie dringend ich das Geld gebraucht hätte?«, fragte Onkel Ludger erbost und packte Lilly fester. Sie quiekte auf. »Ich war in der Hand von kriminellen Psychopathen. Ich bin meiner Hinrichtung nur entkommen, weil ich ihnen auf anderem Wege Geld besorgt habe.«
Er sah mit finsterer Miene in die Runde. »Das war zwar nicht geplant, aber daraus wurde eine zweite Karriere. Ich habe viel gelernt, sehr viel.«
»Und was willst du jetzt?«, fragte
Weitere Kostenlose Bücher