Der Verlobte
der Großvater schroff.
»Eine Million Euro. Und schon habt ihr Louise wieder«, sagte Onkel Ludger. »Sie ist immerhin die Einzige, die zumindest ein schlechtes Gewissen hat. Und sie ist die Einzige, die das Geld nicht für sich selbst genommen hat.«
Lilly stöhnte. Ihre Augen waren noch immer geschlossen. Tillmann schluckte, sein Mund war nach wie vor wie ausgetrocknet.
»Und wozu die Geiselnahme?«, fragte die Großmutter.
»Meinst du, damit kommst du weiter?« Der Großvater lachte verächtlich. »Eine Geisel hilft dir kein bisschen, wenn du da draußen an den Hunden vorbeimusst! Ganz im Gegenteil, sie werden dich zerfleischen, wenn du Lilly anrührst!«
»Du meinst die beiden harmlosen Schlappohren da draußen?« Ludger grinste gemein. »Die zwei Schoßhündchen tun niemandem mehr etwas!«
»Ludger, du wirst doch nicht den Hunden etwas angetan haben?« Die Stimme der Großmutter schnappte über.
Tillmann musterte sie verwirrt. Hatte sie tatsächlich mehr Angst um ihre Hunde als um ihre Enkelin?
Onkel Ludger grinste gehässig.
»Papa, hör auf!« Bert schrie fast. »Wenn du eine Geisel brauchst, dann nimm mich! Aber lass endlich Lilly los!«
»Oh, da hat sich mein kleiner verzogener Chaot ja zu einem Wochenendhelden entwickelt«, spottete Onkel Ludger.
»Nimm mich als Geisel, Papa!«, sagte Bert flehend.
»Nein. Ich stelle mich zur Verfügung!«, hörte sich Tillmann plötzlich sagen. Seine Stimme klang rau und seltsam fremd. Er räusperte sich unwillkürlich.
»Sie?« Ludger sah ihn erstaunt an. »Wer sind Sie überhaupt?«
»Lillys Verlobter«, brachte Tillmann hervor.
Ludger quittierte die Antwort mit einer hochgezogenen Augenbraue.
»Nein, nehmen Sie mich.« Elisabeth schenkte ihm ein aufreizendes Lächeln. »Mit mir wird es nicht langweilig. Und von Lilos Geld ist auch noch etwas übrig …«
Onkel Ludger schüttelte den Kopf und musterte Tillmann aufmerksam.
»Lilly kann doch nichts dafür«, sagte Tillmann. »Nehmen Sie mich mit, und Sie kommen, wohin Sie wollen!«
»Nein«, rief Bert dazwischen. »Papa, nimm mich!«
Tillmann stellte sich aufrecht hin. »Sie wollen doch nicht Ihren eigenen Sohn als Geisel nehmen«, sagte er. »Ich bin viel besser geeignet. Sie haben Lillys Mutter entführt, ihr Vater ist tot. Was wollen Sie mit einer Geisel, der ohnehin alles egal sein muss?«
»Lilly braucht ihn.« Bert deutete auf Tillmann. »Sie hat sonst niemanden mehr. Nimm mich als Geisel, Papa!«
»Habt ihr alle den Verstand verloren?«, brüllte der Großvater dazwischen.
»Der Junge bleibt hier bei mir«, sagte die Großmutter streng und nahm Berts Hand.
Tillmann nickte entschlossen. »Und Lilly bleibt auch hier«, sagte er so ruhig wie möglich und ließ einen Versuchsballon fliegen. »Sie braucht ihre Medikamente, sie muss regelmäßig untersucht werden. Sie macht Ihnen ohnehin nur Scherereien.«
Tillmann fand, dass er recht passabel log. Immerhin war er auf eine solche Situation nicht vorbereitet und musste improvisieren. Hoffentlich spielten die anderen Anwesenden mit. »Wenn Sie ihr jetzt bitte das Essen ermöglichen würden. Wenn sie nicht pünktlich isst, kann sie ins Koma fallen. Diabetes, Sie verstehen?«
Onkel Ludger warf einen kurzen Blick auf Lilly, schien aber nicht an Tillmanns Ausführungen zu zweifeln. Vermutlich hatten seine Familienerfahrungen bei ihm nur selektives Misstrauen ausgelöst und er brachte Fremden sogar leichter Vertrauen entgegen.
»Außerdem«, hob Tillmann erneut an und hätte sich für diesen Geistesblitz am liebsten selbst auf die Schulter geklopft, »außerdem kann nur Lilly das Lösegeld besorgen. Nur sie kommt an das Vermögen ihrer Eltern heran!«
Elisabeth stieß einen leisen Pfiff aus und warf Tillmann einen heißen Blick zu. Ihre Hände zitterten noch immer.
»Kommen Sie her!«, sagte Onkel Ludger zu Tillmann.
Schnell lief er zu ihm und Lilly. Onkel Ludger hielt ihm den Gewehrlauf unters Kinn und schubste Lilly von sich.
Tillmann sah noch, dass Lilly auf dem Schoß ihres Großvaters landete, als Onkel Ludger ihm auch schon den Arm fest um den Hals legte. Rückwärts zog er ihn in die Halle und weiter bis zur großen Eingangstür.
Unsanft stolperte Tillmann neben Onkel Ludger her die glitschigen Stufen hinunter. Auf dem Kies lockerte der bewaffnete Onkel plötzlich seinen Griff und ließ ihn los.
»Weitergehen«, knurrte er, und Tillmann spürte den Gewehrlauf zwischen seinen Schulterblättern. »Weiter geht ’ s! Wir müssen dort drüben
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