Der verlorene Freund: Roman (German Edition)
die Männer mit einem Trinkgeld, und da standen wir, die Hände gekreuzt, und hatten der schweren Eisentür nichts hinzuzufügen. Wandas Sohn war von imposanterStatur. Über dem Hemdkragen zeichneten sich am Nacken die Muskeln ab, die bestimmt auch unter dem makellosen Sakkorücken noch angespannt waren. Sein Kopf überragte das Schweigen des kleinen Leichenzugs um eine gute Handbreit. Dann lenkte mich eine Taube ab, die auf den Stufen einer Gruft pickte, Eva machte einen Schritt rückwärts, Wanda bewegte ihren Stock, und als wäre das ein Zeichen, gingen wir auseinander.
Ich sah die Rizzis in einen mächtigen Landrover steigen, blieb neben Eva stehen und fragte sie nach ihren Plänen. Sie müsse noch ein paar Dinge regeln und werde morgen zurückfliegen, sei jedoch in einem Monat wieder hier, um die Wohnung aufzulösen. Sie war erschöpft und entschuldigte sich mit dem gequälten Lächeln der Trauernden. Ich versprach, am Abend anzurufen, und machte mich auf den Weg, zwanzig Schritte hinter der jungen Frau mit den Locken, die sich abseits gehalten, sich von Eva jedoch mit einem Kuss verabschiedet hatte. Als ich in die Rivera einbog, wartete sie hinter der Ecke auf mich. Sie war weniger jung, als ihr rötliches Haar hatte vermuten lassen, und etwas unbeholfen erkundigte sie sich, wann ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Wir gingen im kühlen Schatten der Platanen Richtung Zentrum, ich weiß nicht mehr, wie weit. Nina hatte Waldemar vor einem Jahr verlassen und fühlte sich schuldig an seinem Tod. Sie war um die vierzig, Psychologin und hatte einen kleinen, verstörenden Körper, der sich mit einer Art Hilflosigkeit fortbewegte. Das fiel nicht besonders auf und wurde unter anderen Umständen gewiss besser überspielt, saß jedoch tief im geschmeidigen Wiegen ihrer Hüften, in ihren verkrampften Lippen. Die beiden hatten zusammengelebt, dann hatte sie ihn verlassen, war zurückgekehrt und mehrmals wieder gegangen. Sie war überzeugt, ihn in den Wahnsinn getrieben zu haben. Soweit ich mich erinnerte, hatte Waldemar sie nur ein einziges Mal erwähnt, in Verbindung mit einem Brandfleck im Sesselpolster, doch ich verbot es mir, sie mit einer Kränkung zu trösten. Es war nicht meine Angelegenheit. Fast nichts an diesem Morgen war meine Angelegenheit, nur dieser Zweifel, der sich in meine Vertrautheit mit Waldemar geschlichen hatte. Ich fragte sie nach der Schwester, und Nina sagte, das sei eine unheilvolle Person, die Walli nicht ausreichend auf Distanz gehalten hätte. Ich prägte mir den Diminutiv als Mahnung ein, wie wenig ich Hansen gekannt hatte, und erfuhr nach kurzem Nachhaken, dass Wanda einen Freund Waldemars mit Namen Bruno Rizzi geheiratet hatte. »Eine Seele von Mensch«, sagte sie, »feinfühlig und voller Leben. Seit seinem Tod vor zwei Jahren macht Wanda nun dem Sohn das Leben schwer. Waldemar hat sie immer an ihrem Geburtstag angerufen. Dann bat sie ihn, vorbeizukommen, eine Zeitlang ging es gut, bis sie sich wieder in die Haare kriegten.« Das erzählte Nina, während ein Windstoß ihr das Sommerkleidum die Beine wickelte und wir den Friedhof immer weiter hinter uns ließen.
An einer Ecke verabschiedete ich mich, schob eine Verabredung vor, überfordert von dem krankhaften Eifer, mit dem Nina ihre offenen Rechnungen mit Waldemar begleichen wollte. Sie schienen mir nicht für meine Ohren bestimmt zu sein und meine Erinnerung mit einem Übermaß an Intimität zu befrachten. Mochte auch stimmen, was sie erzählte, ich hatte ein Recht darauf, mich wieder meinem eigenen Leben zu widmen.
Den Nachmittag über vertiefte ich mich in Boswells Biographie von Samuel Johnson. Binnen vier Stunden hatten die beiden Ordnung in meinem Geist geschaffen, ich konnte ihn wieder über die Dachterrassen der Häuser schweifen lassen, und als es dunkel wurde und ich die Kippen im Aschenbecher zu zählen begann, fiel mir unser Gespräch über die Schwächen ein. Seine hatte mir Hansen leider nicht verraten, und so waren sie mir kein Anhaltspunkt, um mir diesen Sturz von Ast zu Ast vorstellen zu können, ein Kapitel, das ich am liebsten geschlossen hätte wie das Buch, das mich nach der Lektüre jedoch wie ein schwerer Albtraum erwartete. Die Schwäche gehöre zur Lebenslust, hatte er gesagt, und wie zur Bestätigung goss ich mir ein Glas ein. Ich knipste die Lampe an und erinnerte mich an mein Versprechen, Eva anzurufen.
Die vielen Stunden in der Wohnung hatten ihreStimme sanfter gemacht. Sie bedauerte, dass wir uns aus so
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