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Der verlorene Troll

Der verlorene Troll

Titel: Der verlorene Troll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Coleman Finlay
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zu ihr gelangen, um ihr eine davon zu geben? Sie war nur eine vage Gestalt in der Dunkelheit, jenseits seiner Reichweite oder seines Wissens.
    Er kam sich so dumm vor. Er wusste nicht, wie man als Mensch handelte. Er schaute an sich herab, wie er schmutzig, fast nackt dastand, mehr Troll als Mensch.
    Sie ging an dem Feuer vorbei und verschwand.
    Ein Jucken breitete sich zwischen Mades Schultern aus und zog zu seinen Füßen hinunter. Er wich zwischen die Bäume zurück und schlug einen Bogen, weg von den Soldaten und dem Lager und der Frau, zuerst langsam, dann immer schneller, bis er einen zerfurchten Pfad erreichte, der an der steilen Böschung eines kleinen Wasserlaufs entlangführte. Dort begann er zu rennen. Wie eine lange, braune Schlange, die durch das Gras kroch, wand sich der Bach durch ein gelbgrünes Tal, die Farben gedämpft vom Mondlicht. Er führte an mehreren Hügeln vorbei und machte dann abrupt kehrt wie ein kleines Tier auf der Flucht vor einem Raubtier, während er sich allmählich zu einem Fluss verbreiterte.
    Leise vor sich hin plappernd fiel dieser Fluss unvermittelt steil ab und ergoss sich über einige Felsen in die Tiefe. Von Stein zu Stein hüpfend sprang Made die Hänge hinunter. Am Fuß der Berge wurde der Fluss noch breiter, und die Oberfläche glättete sich, als er an Tiefe gewann. Made kniete am Ufer und trank. Danach zwang er sich, weiterzugehen, damit sich sein Magen nicht verkrampfte. Als er wieder um eine Kurve bog, sah er auf der anderen Seite des Wassers ein gelbes Licht flackern.
    Langsam ging er näher. Das Licht kam aus einem kleinen Häuschen am Flussufer. Made hätte einen Bogen darum geschlagen und sich von hinten herangepirscht, aber vor ihm erstreckte sich ein dunkler, kantiger Umriss über dem Wasser.
    Mades Schritte wurden kürzer und stockten schließlich.
    Eine Brücke. Wie ein Stamm, der über eine Schlucht führte, oder eine Steinplatte über einen Höhlenspalt. Aber wohin? Und welchen Weg wollte er überhaupt einschlagen?
    Da bog ein Mann um die Ecke des Häuschens, eine Fackel in der einen und einen Sack in der anderen Hand. Seine langen Haare bekamen durch die Flammen einen gelblichen Schein. Im Innern des Sacks zappelte und miaute es. Er näherte sich mit den vorsichtigen, steifen Schritten des Alters dem Wasser, steckte die Fackel in einen Halter und begann zu singen.

    Ein Leuchten schlängelt über den Fluss
    Unter des Sternenhimmels Wacht
    Zieht über die steinige Furt
    Gegen die Strömung in dunkler Nacht

    Die Stimme des Alten zitterte wie eine lahme Hand, dennoch fesselte der langsame, trällernde Gesang Mades Aufmerksamkeit und lockte ihn näher: die Worte stammten aus der Sprache der Trolle.
    Oder wenn auch nicht aus der gleichen Sprache, so zumindest aus einer sehr ähnlichen. Sie klangen seltsam, aber vertraut in Mades Ohren, wie die Worte der Rabenfelsen-Horde hoch oben im Norden. Allerdings konnte er nicht alles verstehen.
    Auf Höhe des alten Mannes, der auf der anderen Seite des Flusses stand, rutschte er das schlammige Ufer hinab, um zu lauschen. Während die Worte über das Wasser schwebten, wurde die Melodie schärfer, zielgerichteter.

    Auf dieser Seite sind wir nur zu Gast
    Betteln um Essen und ein Bett zur Rast.
    Doch naht die Zeit der Großen Reise
    Singen wir des Dämons Weise.

    Ein Leuchten tauchte unter der Brücke auf, ein Schimmer, den Made zunächst für eine Spiegelung der Milchstraße hielt.
    Dann fiel ihm der Abend mit Pisqueto auf dem Berg bei Squandrals Dorf wieder ein, und er beugte sich vor.
    Eines der Wesen aus dem Uralten Volk!
    Der Fluss vor ihm war klein im Vergleich zu jenem Gewässer damals, keine fünfzig Fuß breit, und so flach, dass man den Grund sehen konnte. Er schien kaum groß genug für das zwanzig Fuß lange Schlangentier, das langsam an die Oberfläche trieb.

    Ruft der Dämon, bringen wir ihm eine Gabe
    Doch wo er hinzieht in seiner Gier nach Blut
    Fliehen wir rasch mit unserer Habe
    Überlassen die anderen seiner Wut

    Der alte Mann watete knietief ins Wasser und wiegte sich beim Singen vor und zurück, während seine Stimme lauter wurde. Die Gestalt glitt auf ihn zu und verharrte. Ein bleicher, schimmernder Kopf hob sich auf einem netzartigen Hals aus dem Wasser, fast auf Höhe des Gesichts des Alten, und schwang sich im Rhythmus seines Gesangs und seiner Bewegungen vor und zurück.
    Made dachte daran, wie das Reh verhext worden war.

    Die volle Fähre rudert sacht
    Hinein in die blutige Todesnacht
    Leise

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