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Der verlorene Troll

Der verlorene Troll

Titel: Der verlorene Troll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Coleman Finlay
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Aufprall gleitet er sanft durch das Erdreich, bis die Erde um ihn herum einstürzt und ihn bedeckt wie eine Wurzel.
    Und wie eine Wurzel liegt er nun da und wartet geduldig darauf zu blühen. Wasser sickert durch die Erde und erreicht seinen ausgedörrten Hals; er trinkt. Der harte Kern in seinem Innern platzt auf wie eine reife Nuss. Das genügt, um ihn einen einzigen Faden ausschicken zu lassen, eine suchende Gedankenranke, geformt wie ein Satz.
    »Wo bin ich?«
    Im Land der Toten, lautet die Antwort.
    Aber das weiß Made längst. Er hat sich erschöpft, nur um etwas herauszufinden, das er schon weiß, und so verharrt er lange Zeit in der dicken, schweren, sumpfigen Dunkelheit und schluckt das Wasser, das seinen leblosen Hals hinabrinnt. Was er finden möchte, ist ein Weg hinaus, in das Land, in dem die anderen Geister hausen. Er schickt neue Gedankentriebe aus, doch ehe sie sich aus dem rauen Boden befreien können, dringt etwas zu ihm hindurch, eine Stimme aus flüssigem Licht.
    Wer bist du ?, fragt sie.
    Made muss über diese Frage nachdenken, eine Ewigkeit lang, durch Jahreszeiten voller Frost und die erste Wärme des Frühjahrs, durch den Tau und die Nebel des Sommers, durch die gefrorenen Kristalle auf den Grasspitzen. Endlich regt sich die Antwort wie ein weiterer suchender Trieb, ein bleiches, weißes Haar, das sich langsam nach oben schlängelt und durch den Humus zur Oberfläche bohrt.
    »Ich bin ich«, antwortet er.
    Die große Enttäuschung über diese Antwort durchdringt sämtliche Schichten, die sie trennen. Made ist verwirrt. Seine Unfähigkeit zu kommunizieren erstickt ihn, und endlich gibt er den Versuch auf, sich loszureißen. In dem Moment, da er in seinem Kampf nachlässt, entwirren sich sämtliche Kräfte, die in dem unbeweglichen Pflanzenknoten, der er nun ist, eingeschlossen sind, und verwandeln sich in eine Heerschar von Wurzeln und Verästelungen, die in alle Richtungen gleichzeitig streben, hinein in die Dunkelheit und hinauf zum Licht. Aus den Ranken werden Finger, und mit einer grünen Hand umklammert er die Dunkelheit tief im Untergrund, mit der anderen greift er hinauf und packt den runden Lederball der Sonne. Und obwohl dieser seine Handfläche verbrennt, lässt er nicht los.
    Zum ersten Mal öffnet er die Augen. Die Sonnenstrahlen stechen wie Dolche, aber er blinzelt nicht und weicht nicht zurück. Es gibt einen Unterschied zwischen Furchtlosigkeit und Mut; dazwischen, den Dämon zu belauern, oder ihm in den Rachen zu schauen, und er hat die Wasserscheide überschritten, die diese zwei Erfahrungsströme trennt.
    Die Sonne sieht es ebenfalls und steckt ihre Klingen wieder ein.
    Er lag unter Decken begraben am Boden, in der Ecke eines kleinen, sauberen Zimmers, das von großen Fenstern erhellt wurde. Als er zu sprechen versuchte, brach seine Stimme wie ein trockener Zweig. Ein Mann kam durch den Raum und schaute ihn an. Es war der Alte, den er am Flussufer gesehen hatte. Sein silbernes Haar hing in langen Zotteln an ihm herab. Bronzene und kupferfarbene Flammen tanzten um sei nen Kopf, wie die Lichter am nördlichen Himmel.
    Der alte Mann goss saures Wasser in Mades Mund, ein winziges Rinnsal nur, das ihm aus dem Mundwinkel tropfte. Etwas Kleines, Warmes kuschelte sich schnurrend an ihn.
    »Zu viel Leben in dir, als dass der Tod dich im Ganzen schlucken könnte«, sagte der alte Mann in der Sprache der Trolle.
    »Wie lange«, fragte Made.
    »Einige Nächte lang«, murmelte der Mann. »Zwei, drei. Je nachdem, ob du die erste zählst oder nicht.«
    »Es war noch nicht Morgen, als ich dich sah.«
    »Ja. Richtig.« Es war das gleiche Wort wie in der Sprache der Trolle, aber er wiederholte es zweimal. Er schien über dieses Eingeständnis nicht sehr glücklich zu sein. »Drei Nächte.«
    »Drei.«
    Made schloss die Augen und schlief, so wie Menschen und Trolle es machten, wenn sie nach einer langen Reise wieder sicher zu Hause angekommen waren. Er hatte das Gefühl, schon sehr lange nicht mehr geschlafen zu haben, wenn überhaupt jemals.

    *

    Sonne schien, als er wieder erwachte, von lautem Hämmern, Schreien und grausamem Gelächter aus dem Schlaf gerissen. Wütende, trotzige Rufe, von Stimmen, die er beinahe zu erkennen meinte. Er lauschte lange Zeit, im Glauben, es sei ein Fiebertraum. Denn das Rudel winziger Katzen, rot, schwarz, grau und weiß, die ständig durch die Haustür ein und aus rannten und sich im Sonnenlicht aalten, konnte nur Teil eines Fiebertraums sein. Der Geruch ihres

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