Der verlorene Troll
auf ihnen drei menschliche Umrisse.
Langsam ging Made auf sie zu.
Kapitel 20
Die Brückensteine fühlten sich unter Mades Füßen glatt an. Sie vibrierten und pulsierten vor Wärme wie die Anhänger um seinen Hals. Er sah nach unten.
Sein Blick schweifte über die sich kräuselnden Wellen. Im klaren Wasser unter dem Hauptbogen der Brücke sah er den kopflosen Körper des Uralten in dem Graben liegen, wo er wohl einst gelauert haben mochte. Hunderte silberner Gestalten flitzten um ihn herum und knabberten an dem Kadaver. Knochen bohrten durch das Fleisch, weißglänzend, glatt und knubbelig wie Steine, die vom Strom des Wassers blank poliert wurden. Ein neuer Uralter, drei oder vier Fuß lang, schlängelte sich am Rückgrat des Toten entlang, bereit, den Platz des anderen einzunehmen.
Eine Krähe kreischte in rascher Folge dreimal. Made hob den Kopf und überquerte die Brücke.
Dort, wo der Uralte ihn angegriffen hatte, war die lehmige Böschung von Fußabdrücken übersät. Eine Straße wand sich stromaufwärts zu der großen Steinhütte, wo er die Frau gesehen hatte.
Unterhalb der Brücke strömte aus einer Lücke zwischen steilen Felswänden ein zweiter Wasserlauf in den Fluss. Geröll hatte sich zwischen den Steinen verfangen. Früher hätte Made ein solches Bächlein noch als Fluss bezeichnet, aber das war, ehe er die riesigen Wasserströme bei Squandrals Dorf gesehen hatte. Ein Pfad führte am Ufer entlang zu der Anhöhe mit den drei Pfählen.
Made folgte dem Weg und stieg den Hang hinauf. Rotschwarze Amseln und Blauhäher hüpften von Ast zu Ast und stießen bei seinem Anblick gellende Alarmschreie aus. Die meisten Vögel in den Bäumen schienen noch zu überlegen, ob sie es bereits riskieren konnten, sich an den gefürchteten Gestalten der Männer zu laben. Selbst die Geier am Himmel wirkten misstrauisch.
Drei Pfähle, drei Leichen.
Berge von Geschenken türmten sich am Fuß der ersten beiden Pfähle auf: Schüsseln voller Getreide, Waffengaben, frische Skalpe mit rotem, blondem oder schwarzem Haar, dazwischen einzelne Fingerglieder und Daumen. Am Fuß des dritten Pfostens lag der Kopf des Uralten, den aufgerissenen Mund zum Himmel gerichtet. Nach den Bräuchen von Sinnglas’ Volk sollten diese Gaben die Seelen der toten Männer den Todesfluss hinabbefördern, zum ewig fruchtbaren Land des Himmelstales.
Bei dem Geruch von Blut und Schmutz krampfte sich Mades leerer Magen zusammen.
Die drei Männer waren nackt, ihre Hände vor dem Körper gefesselt. Spitze Pflöcke waren ihnen zwischen den Hinterbacken durch den Körper getrieben worden. Der Erste war Tanaghri; sein Gesicht war so verzerrt, dass man es fast nicht erkennen konnte. Dagegen wirkte Damaquas Antlitz neben ihm friedlich, aber traurig. Im Tod, dachte Made, wurden sämtliche verlorenen Abstimmungen und alle nicht miteinander geteilten Mahlzeiten ausgelöscht. Auch die gefesselten Hände der beiden Männer waren verschieden: Tanaghris Hände waren zu einer Faust zusammengeballt, Damaqua zeigte flehentlich die Handflächen.
Die Daumen des dritten Mannes zuckten.
Gelapa. Der Zauberer.
Sein Gesicht war leer und schlaff. Kleine Schnäbel hatten ihm Fleischfetzen aus Wangen und Schultern gepickt und winzige, dreieckige Furchen hinterlassen, gefüllt mit verkrustetem Blut. Von unten bohrte sich die Spitze des Pfahls gegen die Haut an seiner rechten Schulter.
Wieder zuckte die gefesselte Hand.
Geister konnten eigensinnig sein; dieser hatte aus einem bestimmten Grund verharrt. »Großvater«, sagte Made leise. »Das hätten sie nicht tun dürfen. Möchtest du in die schöne Nacht hinabsteigen?«
Gelapas Augenlider flatterten.
»Es ist vorbei.« Made zog sein Messer, reckte sich und trieb es in Gelapas Herz - ein kleines Rinnsal Blut, das nach und nach versiegte. Es war zu Ende.
Zwei schwarze Vögel stießen auf Tanaghris Gesicht herab. Sie kreischten, aus Angst, Made könnte ihnen ihre Beute streitig machen.
Made beachtete sie nicht und trat hinter Gelapas Pfahl. Er schob die Beine des Zauberers beiseite und stemmte die Schulter gegen das Holz. Langsam neigte sich der Pfahl ein Stück in Richtung Boden. Made zerrte ihn weit genug nach unten, um den Leichnam herunterzuholen. Er war überraschend leicht, nur die Hülle eines Menschen, wie die Kokons der Zikaden, wenn das Insekt geschlüpft war.
Er wusste nicht, was er tun sollte.
Da fielen ihm die Schlangenhäute ein, die den Dorfpfahl geschmückt hatten. Er trug den nackten Körper zur
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