Der verlorene Troll
scharfkantigen Stein und entdeckte schließlich einen dicht über dem Boden. Wenn er sich niederkniete, konnte er das Seil gut daran wetzen. Als er nach einer Weile mit den Fesseln an sein Bein kam, brannte das Seil in der Kälte des Verlieses heiß auf seiner Haut. Die Schulter gegen die feuchte Wand gestemmt, arbeitete er weiter.
Lange Zeit hämmerte Bran gegen die Tür, bettelte und drohte, bis er schließlich müde wurde und an die Wand gegenüber der Tür sank. »Ich kann meine Finger fast wieder fühlen«, sagte er. Dann murmelte er: »Zumindest die, die mir noch geblieben sind.« Lauter fügte er hinzu: »Kannst du mein Bauchrumpeln hören? Aber das ist nicht das Schlimmste. Ich bin so durstig, dass ich die Mutter Wasser selbst trinken könnte.«
»Hier sickert ein bisschen Wasser an der Wand entlang«, sagte Made. Er drehte sich um und leckte an dem Rinnsal neben seiner Schulter. Es schmeckte leicht faulig; das war der Geruch, den er gewittert hatte. Auch ihn plagte der Hunger. Er würde sogar das Seil essen, wenn es ihm nur gelänge, es durchzuscheuern. »Genug, um sich die Lippen zu befeuchten und vielleicht die Kehle, aber deinen Magen wird es nicht füllen.«
Bran kraxelte herbei. Er prallte gegen Made und stieß ihm das Knie gegen Kopf. »Entschuldige. Wo ist das Wasser?«
»Weiter unten bei deinem Gürtel. Nein, bücke dich zu mir. Es ist bei dieser scharfen Steinkante.«
»Gefunden.« Bran leckte am Fels wie eine Wildkatze, die aus einem Tümpel trank. Als er endlich aufhörte, seufzte er. »Wie kann etwas nur so schrecklich und lieblich zugleich schmecken?«
Made rieb den Kopf an seinem Arm, dort, wo Brans Knie ihn getroffen hatte. »Wegen den Frauen?«
Bran antwortete nicht gleich. »Ja.«
»Bran, wie kann ich die Frauen finden?«
Eine noch längere Pause. »Geh zu einem beliebigen Haus und klopfe an die Tür. Überall wohnen Frauen.«
»Nein. Die Frauen. Die im Lager, im Zelt, der ich das Löwenfell gegeben habe.«
»Ali, die Frau.«
»Frau?«
»Frau, wenn es nur eine ist.«
»Das stimmt. Es ist nur eine. Nur Portia.«
Bran verstummte wieder. Das Tropfen des Wasserrinnsals hallte durch das Verlies. »Lady Portia ist eigentlich Acrysy versprochen, dem Mann, der uns gefangengenommen hat. Damals vertrugen sie sich jedoch nicht besonders, deshalb glaube ich nicht, dass du sie hier finden wirst.«
»Oh.« Auf einmal schien Made die Dunkelheit noch viel undurchdringlicher. »Dann gehe ich einfach dorthin, wo er nicht ist.«
*
Made schlief, erwachte, schlief und erwachte wieder - die Zeitabstände waren ohne Bedeutung, mochten es kurze Nickerchen gewesen sein oder lange Schlafperioden. Aber egal, wie lang oder kurz sie waren, nie war er hinterher ausgeruht. Und obwohl er seinen Durst mit dem tropfenden Wasser stillen konnte, nagte der Hunger weiter an ihm. Währenddessen zerfaserte das Seil allmählich unter seinem geduldigen Wetzen.
Völlig unerwartet kamen auf einmal Stimmen und Schritte die Treppe herunter. Bran, der an der Tür lehnte, konnte gerade noch beiseitespringen, ehe die dicke Eichentür aufflog. Helligkeit strömte in den Raum. Made blinzelte und zwinkerte wie eine Fledermaus, die ins Tageslicht geworfen wird.
»Grüße, Grüße, Grüße.« Die Stimme war glatt wie polierter Stein und ebenso hart. »Ihr seid also immer noch hier? Meinen allerliebenswürdigsten Dank dafür, dass ihr so überaus geduldig auf das Vergnügen meines Besuches gewartet habt.«
»Sebius, Herrin«, sagte Bran, die Stimme hell vor Hoffnung.
Während Mades Augen sich an den Fackelschein gewöhnten, trat Sebius in die Zelle, jener frauenhafte Mann, den Made Nebelhaar getauft hatte.
Acrysy folgte, ein höhnisches Grinsen im Gesicht.
Ein Wachposten mit einem Kurzspeer in der Hand kam und stellte sich in die Ecke neben der Tür, ein zweiter hatte sich in der Türöffnung postiert und mindestens ein weiterer wartete draußen im Gang. Auch ohne Fesseln hätte Made sich nicht freikämpfen können.
Sebius verströmte einen Geruch wie Urin in einem Blumenbeet, fand Made. Und war dieser Sebius nun ein Er oder eine Sie, Mann oder Frau? Keine Frau. Sebius, entschied Made, war ein Er. Der Eunuch trat näher und hob Brans verstümmelte Hände auf. Er tätschelte die Stümpfe, wo einst Finger waren. »Ist das alles, was dir diese mörderischen, unberechenbaren Heiden abgeschnitten haben?«
»Ist das nicht genug?«
Der Eunuch seufzte, und seine Stimme stieg um eine Tonlage. »Nun, eine Frau hofft immer auf
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