Der verlorene Ursprung
Schluck Cava durchaus zu schätzen wußten. Aber die Sprüche, dieses Machogehabe, schmeichelten nun mal unserem männlichen Ego.
Während ich alle Fotos, Daten und Dokumente auf einer CD abspeicherte, setzte mein Kollege sich in Bewegung, um in seinem Zimmer zu duschen und sich umzuziehen. Das einzige, was Lola bewegte, war ihr rechter Daumen beim Zappen. Ich wollte gerade den Steinring mit der gebrannten CD im Safe verstauen, da fiel mir an seiner Unterseite eine merkwürdige Kerbe ins Auge. Die Vertiefung hatte die Form eines Dreiecks mit zwei gleich langen Seiten und einer dritten, die etwas kürzer und leicht nach außen gebogen war, wie bei einem dreieckigen Stück Manchegokäse. Ich hätte es Lola gerne gezeigt, besann mich aber eines Besseren - sie hätte mich mit Sicherheit gelyncht - und verstaute kurzerhand den Steinring im Metallkasten.
Als wir das Hotel verlassen wollten, schlug Jabba vor, wir sollten rasch noch Marta anrufen. Allmählich begannen wir uns zu erholen. Wir kamen wieder zu uns, obwohl wir immer noch nicht wahrhaben wollten, was für unglaubliche Dinge wir in den Tiefen von Taipikala erlebt hatten.
»Heute werden wir uns jedenfalls nicht mehr bei ihr melden«, sagte ich. »Morgen ist auch noch ein Tag.«
»Sie wartet doch. Ruf sie wenigstens an und sag ihr, daß wir uns morgen sehen.«
»Hör auf zu nerven.«
»Wer hat die Telefonnummer?« Jabba schaltete auf stur.
»Ich habe sie«, sagte Proxi, »aber ich werde sie dir nicht geben. Ich bin Roots Meinung. Morgen ist auch noch ein Tag. Jetzt laßt uns im besten Restaurant von La Paz essen gehen. Ich lechze nach verpesteter Luft und feiner Küche, nach Massen von Menschen und ordentlichem Straßenlärm um mich herum.«
»Ich bin dabei.« Entschlossen strebte ich dem Ausgang zu, wo uns der Portier die Tür aufhielt.
Doch Jabba ließ nicht locker. Er lag uns die ganze Zeit in den Ohren, während wir begierig den modernen Teil von La Paz in uns aufnahmen, mit den Hochhäusern, den Straßen, den Verkehrsampeln - die übrigens kein Mensch beachtete -, der grellen Großstadtbeleuchtung, den Menschenmengen und den von den Dächern herabblinkenden Leuchtreklamen ... Kurz, all den Wundern der Zivilisation. Aber mein Kollege konnte einfach nicht ertragen, daß Marta Torrent die ganze Zeit vergeblich auf unseren Anruf wartete. Dabei rief mir allein die Erwähnung ihres Namens nicht nur blitzartig die Pyramide des Reisenden in Erinnerung, sondern ließ auch die Wut über die Sache mit Daniel in mir wieder hochkochen. Immer wenn das Thema zur Sprache kam, fing es in meinem Inneren an zu rumoren. Aus lauter Verzweiflung zog ich, um ihn zum Schweigen zu bringen, schließlich das Handy hervor. Zwischen zwei Gängen erlesenster europäischer Küche wählte ich die Nummer auf dem Zettel, den Lola mir über den Tisch schob. Es meldete sich ein Mann mit stark bolivianischem Akzent. Als ich mich vorgestellt und nach Marta gefragt hatte, reichte er mich an sie weiter. Das Ganze war ziemlich surreal. Erst vor wenigen Stunden hatten wir uns von dieser Frau verabschiedet. Mich kostete dieser Anruf reichlich Überwindung, denn ich hatte aufgehört, Marta aus tiefstem Herzen zu hassen. Deshalb fühlte ich mich jedoch ihr gegenüber schuldig, wobei erschwerend hinzukam, daß alles, was wir gemeinsam durchgestanden hatten, ein seltsames Band der Vertrautheit zwischen uns geknüpft hatte. Das erschien mir allerdings in dem Moment vollkommen unwirklich. Es war, als telefonierte ich mit einer früheren Geliebten, die ich nach einer gescheiterten Beziehung, in der die Liebe am Ende in tödlichen Haß umgeschlagen war, plötzlich wegen einer Notlage wiedersehen mußte.
»Arnau, wo seid ihr?« fragte sie als erstes. Der Klang ihrer Stimme zerrte bereits an meinen Nerven.
»Beim Abendessen in einem Restaurant.« Ich nahm die Serviette vom Schoß, legte sie auf den Tisch und rutschte auf dem Stuhl herum.
»In welchem?«
»Im La Suisse.«
»Ach, dann seid ihr ja in Sopocachi, gleich hier um die Ecke!«
»Ja, genau. Beim Essen.«
»Hättet ihr Lust, wenn ihr fertig seid, noch auf einen Kaffee bei Freunden von mir vorbeizukommen?«
Ich war kurz davor, ihr eine schroffe Abfuhr zu erteilen, aber dann riß ich mich zusammen. Statt dessen drückte ich die Stummtaste, warf einen Blick in die Runde und gab den Vorschlag weiter: »Marta Torrent lädt uns nach dem Essen auf einen Kaffee ein. Was meint ihr?«
»Wo?« wollte Marc wissen. Proxi verzog nur widerwillig das
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