Der verlorene Ursprung
und wir durften den ganzen Tag auf diesen Feldern hier herumlaufen. Vor fünfunddreißig Jahren wußte man hier noch nicht mal, was ein Tourist ist.«
Vor Kälte schlotternd und mit klappernden Zähnen liefen Marc, Lola und ich eilig hinter Marta Torrent her. Es dauerte eine gute halbe Stunde, bis wir das Dorf erreichten, wo wir uns schnurstracks zu Don Gastóns Hotel begaben. Der Wirt, in langer Unterhose und Flanellunterhemd, guckte ganz entgeistert, als er uns vor der Tür stehen sah. Doch er erkannte Marta, bat uns rasch herein und weckte das ganze Haus. Man brachte uns Decken und heiße Brühe, und der Kamin wurde mit solchen Mengen von Brennholz versorgt, als müßte ein ganzes Dampfschiff befeuert werden. Marta gab Don Gastón eine kurze Erklärung, die er ohne Zögern akzeptierte. Danach begleitete er uns auf die Zimmer und versprach, uns vor jeglicher Störung zu schützen. Ich duschte noch rasch, dann legte ich mich ins Bett und sank endlich in tiefen, festen Schlaf.
4. Teil
Ich wachte gegen fünf Uhr nachmittags auf, und als ich in den Speiseraum hinunterkam, warteten Marc und Lola dort bereits fertig angezogen auf mich, in die bolivianische Presse vertieft. Während ich frühstückte, erzählten sie mir, die Doctora sei nach dem Mittagessen aufgebrochen. Sie habe uns eine Nachricht samt Telefonnummer hinterlassen mit der Bitte, uns gleich nach unserer Rückkehr in La Paz bei ihr zu melden.
Don Gastón berechnete uns als Martas Freunden nur den Mindestpreis für einen Tag Aufenthalt, ohne Essen oder sonstige Extras, und organisierte eines der spärlichen Taxis für die Rückfahrt nach La Paz. Zwei Cholas mit schwarzen Zöpfen und Hüten begleiteten uns. Nachdem sie ihre schweren bunten Stoffbündel auf dem Gepäckträger verstaut hatten, machten sie während der gesamten Fahrt den Mund nicht auf. Bestimmt aus Luftmangel, denn Proxi und ich saßen neben ihnen auf dem Rücksitz - für Jabba war dort kein Platz.
Kaum hatten wir die Hotelhalle betreten, fühlten wir uns wie zu Hause. Alles, was wir erlebt hatten, kam uns im nachhinein so unglaublich vor, daß wir lieber nicht weiter darüber nachdachten. Wir hatten das Gefühl, als hätte sich ein Riß in der Zeit ereignet und Monate oder Jahre seien verstrichen. In unseren Köpfen klaffte ein ähnlicher Riß. Die Stunden hatten sich erstaunlich in die Länge gezogen. Es schien uns unfaßbar, daß wir erst am Vortag von hier aufgebrochen sein sollten. Schweigend fuhren wir im Aufzug nach oben und gingen alle drei in mein Zimmer.
Marc wirkte nervös. »Wohin mit dem Donut?« fragte er, sobald ich die Zimmertür hinter uns geschlossen hatte. Lola warf sich gleich aufs Sofa und stellte, ohne lange zu überlegen, den Fernseher an. Sie mußte erst wieder zur Besinnung kommen, und der blöde Kasten gab ihr irgendwie das Gefühl von Normalität.
»Wir sollten ihn im Safe aufbewahren.«
Die Hotelzimmer verfügten alle über einen verborgenen Safe im Schrank. Er garantierte nicht gerade für optimale Sicherheit, aber zumindest bot er einen minimalen Schutz für die wertvollsten Stücke. Vor unserer Abreise hatte ich meine Kapitän-Haddock-Uhr im Safe eingeschlossen.
»Am besten, wir sperren den Laptop und Proxis Digitalkamera gleich mit weg.«
»Warum? Aus den Augen, aus dem Sinn mit den ganzen Beweisen, oder was?« Ich nahm am Schreibtisch Platz und fuhr den Computer hoch.
»Wir müssen alle gespeicherten Fotos löschen und das gesamte Material auf CD brennen. Die bewahren wir dann zusammen mit dem Ring im Safe auf. Die übrige Ausrüstung lassen wir draußen, damit wir gleich an die Arbeit können.«
»Hast du noch nicht genug?« Lola klang gereizt.
»Nein, glaub mir, ich will nichts weiter als rausgehen, was Leckeres essen und uns anschließend einen dieser Klubs mit Livemusik suchen. Und wenn wir erst einmal dort sind, mach ich die gesamten Biervorräte des Lokals platt.«
»Die Hälfte des Biers gehört jedenfalls mir«, verkündete Jabba.
»O. k., die Hälfte«, sagte ich. »Aber nicht ein Bier mehr.«
»Was für einen Stuß redet ihr denn da?« wunderte sich Proxi. »Ihr trinkt doch gar nicht!«
»Liebste Lola«, sagte ich. »Das interessiert mich nicht die Bohne. Heute will ich mich betrinken, egal, wie.«
»Ich auch«, pflichtete mein Freund mir bei.
Natürlich würden wir das nicht. Wir machten uns beide nicht viel aus Alkohol - außer zu besonderen Anlässen oder an Festtagen, wenn wir, wie alle anderen auch, ein gutes Glas Wein oder einen
Weitere Kostenlose Bücher